Beiträge zu Politik und Gegenwartskultur

Hefte aus dem Hausarrest

 

Samstag, 27. März 2021
Ein ruhiger Tag vor dem Fernseher nach einer aufwühlenden Woche.
ma

 

Donnerstag, 25. März 2021
Wenn man den Nachrichten glauben darf, hat die Regierungschefin höchstpersönlich den Ruhetag kassiert. Verwirrung und Unmut gab es wohl schon genug und Hamsterkauf in den Supermärkten am Mittwoch war wohl auch kein schöner Gedanke. Der typische Münchener hatte schon von der Pandemie die unangenehme Eigenschaft vor Feiertagen immer einzukaufen als würden die Läden über Monate nicht mehr aufmachen.
ma

 

Mittwoch, 24. März 2021
Die Impfwirkungen bei der besten Ehefrau von allen lassen zunehmend nach und weichen einer allgemeinen Erschöpfung.
Die Verwirrung wegen des Ruhetags kommende Woche ist groß. In gewisser Weise hat man sich in den letzten zwölf Monaten daran gewöhnt auf Sicht zu fahren, aber ein kurzfristig angesetzter Tag mit unbekanntem Rechtsstatus verwirrt den demokratisch-bürokratisch verfassten Staat und seine Bürger. Der Unmut ist groß – zumindest solange noch nicht klar ist, wer zahlt.
ma

 

Dienstag, 23. März 2021
Die beste Ehefrau von allen wird schon in der Nacht von den Impfwirkungen eingeholt und muss sich mit fast allen Symptomatiken des Beipackzettels herumschlagen. An einen normalen Arbeitstag ist bei einer Verfassung wie auf dem Höhepunkt einer Grippeerkrankung nicht zu denken. Die Beschwerden dauern den ganzen Tag und lassen am späteren Abend eine erschöpfte Ehefrau zurück, die das Schlimmste hinter sich zu haben scheint.
Die Regierung entschließt sich für einen Komplettlockdown über die Osterfeiertage (fast hätte ich ge-chrieben ‚totaler Lockdown‘). Vermutlich um noch ein bisschen mehr Inkubationszeit rauszuholen und Ansteckungsketten zu unterbrechen soll der Donnerstag vor Ostern so etwas wie ein einmaliger Feiertag werden. Weil aber nicht immer und Feiern eh aktuell nicht so das Ding ist, soll er Ruhetag heißen, aber so ähnlich wie ein Feiertag funktionieren.
ma

 

Montag, 22. März 2021
Die beste Ehefrau von allen erkundigt sich bei ihren Ärzten, ob bei ihr Risikofaktoren bezüglich AstraZeneca vorliegen, insbesondere hinsichtlich der letzte Woche aufgetretenen Thematik. Es sieht auf den ersten Blick nicht so aus. Ihr Impftermin ist um 15.00 Uhr und so machen wir uns letztlich zur späten Mittagszeit auf den Weg nach Riem. Auf dem dortigen Messegelände wurde das Impfzentrum für München eingerichtet. Unseres Wissens nach ist es der Anlaufpunkt für das gesamte Stadtgebiet. Entsprechend weitläufig wurde die Struktur aufgebaut, die eine Atmosphäre zwischen halbfertigem Messeauftritt, Lazarett und Flughafen ausstrahlt. Aufgrund der Abfertigung über mehrere Stationen überwiegt dann doch die Assoziation Flughafen. In mehreren Verwaltungsschritten wird der Termin und die Vollständigkeit der Unterlagen verifiziert. Jede Clearingstation ist in einer eigenen Messehalle bis man letztlich in derjenigen landet, in der dann tatsächlich geimpft wird. Die halbe Fläche ist mit kleinen Impfboxen zugestellt, vermutlich der einzige Auftrag des Jahres 2020 für einen verzweifelten Messebauer. Dort wird aufgeklärt und geimpft. Danach erfolgt die Entlassung in eine Art Monitoringbereich. Hier wird ein dreißigminütiger Aufenthalt empfohlen um etwaige Akutreaktionen noch vor Ort abfangen zu können. Der Bereich schaut dabei aus wie eine Stuhlinstallation von Ottmar Hörl. Auf einem Drittel der Hallenfläche sind Sitzgelegenheiten im Hygieneabstand von 1,5 Metern gestellt. Am Kopfende dieser Raumordnung steht ein Tennisschiedsrichterstuhl, von dem aus ein Mitarbeiter des Impfzentrums die Befindlichkeit der Geimpften im Impfabklingbecken im Auge behält. Es gibt Wasser und Snacks. Letztere kosten Geld.
ma

 

Sonntag, 21. März 2021
Wir freuen uns auf einen ruhigen Sonntag, als die beste Ehefrau von allen eine SMS vom Impfzentrum bekommt. Man hätte am morgigen Montag Zeit für sie und bittet zeitgleich um eine Terminbuchung online. Bei der Buchung wird auch die Impfstoffzuteilung klar: es wird AstraZenenca, also der Impfstoff, der erst seit Freitag wieder im Rennen ist. Die Ereignisse der letzten Woche und das Wissen um eine längere Nebenwirkungsliste als bei Biontec dämpft die Freude um den unerwarteten zeitnahen Termin deutlich. Ein Impftermin, der von ihrer Einrichtung aus organisiert wird, ist aktuell nicht in Sicht und die Perspektiven über diesen Weg zeitnah mit Biontec geimpft zu werden, schätzen wir aufgrund der organisatorischen Vorgeschichte gering ein.
ma

 

Freitag, 19. März 2021
Die Infektionszahlen steigen weiter. Geplante Öffnungsschritte werden ausgesetzt, die Entscheidung zu einer Kehrtwende in einen weiteren Lockdown in einer Konferenz am Montag ist wahrscheinlich. Das Impfen mit AstraZeneca geht weiter.
ma

 

Donnerstag, 18. März 2021
Das Impfmoratorium mit AstraZeneca soll morgen enden. Die Europäische Arzneimittelagentur hat nach eigener Aussage inzwischen alles geprüft und empfiehlt eine weitere Verwendung.
ma

 

Mittwoch, 17. März 2021
Die ‚dritte Welle‘ und die steigenden Infektionswerte wirken sich auch auf die aktuellen internen Richtlinien der Zusammenarbeit in meiner Arbeit aus. Reisen zwischen den Firmenstandorten, ohnehin eine Seltenheit im letzten halben Jahr, werden vollständig ausgesetzt. Meetings von Angesicht zu Angesicht werden ebenfalls nicht mehr durchgeführt, selbst wenn alle Beteiligten am selben Standort und zufällig im Büro sind (was zugegebenermaßen bei den ausgedehnten aktuellen Homeofficeregelungen eher unwahrscheinlich ist). In diesen Fällen ist das Netzconferencingsystem zu verwenden, das in den letzten 12 Monaten ohnehin das Rückgrat der Unternehmenskommunikation gebildet hat.
ma

 

Montag, 15. März 2021
Mallorca verkündet eine selbst innerhalb Spaniens umstrittene Öffnung für den Tourismus und löst eine Buchungswelle rund um Ostern aus. Anscheinend wollen alle auf die Insel, deren Bewohner wirtschaftlich größtenteils sehr unter dem touristischen Moratorium gelitten haben. Mit Mildtätigkeit hat das aber wahrscheinlich nichts zu tun. Offensichtlich wollen mehr und mehr Menschen ein kleines Stück des alten Lebens zurück. Wer bei dem aktuell geringen Impfstand dann wem vielleicht Covid an den Hals hängt, spielt anscheinend keine besondere Rolle. Gibt es ein klareres Symbol für die Sehnsucht nach Normalität als dieses?
Zudem wird die Verimpfung von AstraZeneca auf Basis einer Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts in Deutschland gestoppt. Anscheinend gab es eine Häufung von Thrombosen der Hirnvenen im Nachgang der Impfung.
ma

 

Sonntag, 14. März 2021
Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Auf dem vermeintlichen Weg in die dritte Welle lassen sich keine dramatischen Veränderungen am Wählerverhalten feststellen. Die CDU verliert in beiden Landtagen, beim Rest keine großartigen Verschiebungen. Am Anfang eines Jahres mit vielen Wahlen zeigen sich noch keine ‚Erdbeben‘, aber auch kein signifikanter Rückgang bei der AfD.
ma

 

Freitag, 12. März 2021
Eine merkwürdige Mischung zwischen Öffnungsschritten, steigenden Inzidenzzahlen, beunruhigenden Nachrichten zur Schädlichkeit der Mutationen, die langsam die Oberhand gewinnen und steigenden Konflikten um das suboptimale Management von Impfung und Teststrategie prägen das Bild der öffentlichen Debatte. Das Robert Koch Institut drängt inzwischen in Richtung eines Wordings, das die aktuelle Entwicklung als dritte Welle bezeichnet. Die Stimmung gleicht ein bisschen dem Bild eines Menschen, der es gerade aus dem brennenden Haus geschafft hat um dann festzustellen, dass der Hof, den er mit Müh und Not erreicht hat, auch keinen Ausgang hat, der nicht in Flammen steht.
ma

 

Mittwoch, 10. März 2021
Das Testergebnis von der Theresienwiese liegt vor. Diesmal ist es vergleichsweise schnell gegangen. Die beste Ehefrau von allen versucht sich an der Installation einer App, die noch ein dokumentenechtes negatives Testergebnis hervorbringen soll. Das erweist sich aber als schwierig. Letztlich ist unklar, ob mit der App etwas nicht stimmt oder das ‚offizielle‘ Dokument schlicht und einfach noch einmal Zeit bräuchte.
ma

 

Dienstag, 9. März 2021
Die Perspektive für ein baldiges Impfen auf Ebene der Einrichtung der besten Ehefrau von allen hat sich zerschlagen. Obwohl eigentlich zur Priorität 1 gehörend, werden keine Terminaussagen mehr gemacht und den Mitarbeitern geraten sich eigenständig zu registrieren. Zeitgleich gibt es Gerüchte, dass im selben Landkreis das Impfen in den Schulen beginnt. Die Empfehlungen der ständigen Impfkommission scheinen je nach Bezirk keine Rolle mehr zu spielen.
Trotzdem geraten die Ungereimtheiten in der Impforganisation kurzfristig in den Hintergrund. Die Aufarbeitung der ersten Pandemiephase fördert die ersten Fälle von mutmaßlicher Vorteilsnahme zu Tage. Zwei Abgeordnete des Bundestages haben angeblich satte Vermittlungshonorare für staatliche Maskenaufträge eingestrichen. Die Treibjagd ist eröffnet. Die öffentliche Empörung selbst innerhalb der politischen Klasse ist umfangreich. Man kann die Angst vor der kollektiven Delegitimierung und entsprechenden Einbrüchen bei der Wahl im Herbst spüren.
ma

 

Montag, 8. März 2021
Die beste Ehefrau von allen besucht nachmittags einmal mehr die Theresienwiese um einen Coronatest zu absolvieren. Die Rückkehr zu dieser Vorgehensweise ist notwendig geworden, weil das Pflegeheim das Testen vor Ort eingestellt hat. Die Auslastung erscheint unter der Woche im Schatten der Bavaria überschaubar. Das Haupthindernis für die Anfahrt sind freizeithungrige Münchener, die die Wege zur Station per Rad, Inlineskates oder zu Fuß kreuzen.
ma

 

Sonntag, 7. März 2021
Auf unserem traditionellen Spaziergang in St. Ottilien lächeln uns vor dem Buchladen kleine Plakate auf einem Aufsteller entgegen. Zwischen jeder Menge Smileys findet sich auch textuell die Botschaft, dass man sich auf die morgige Öffnung freue.
Die beste Ehefrau von allen hat zu diesem Zeitpunkt schon in Frühlingsaktien investiert und Balkonblumen aus dem offenen Gewächshausverkauf vor Ort erworben. Solange kein Frost mehr bis nach Laim vordringt ist alles ok – Lockdownentwicklung hin oder her.
ma

 

Donnerstag, 4. März 2021
Ein weiterer Tag der Maßnahmenverkündung im Hinblick auf das staatliche Pandemiemanagement. Die Friseure und Schulen sind schon seit Montag offen. Die beste Ehefrau von allen hat bei ersteren bereits einen Termin. Wir werden mit einem relativ fein ziselierten Stufenplan konfrontiert, der auch lokale Differenzierungen nach Inzidenzwerten zulässt. Als von den Einschränkungen bisher eher wenig Betroffene können wir es uns erst einmal Verwirrung leisten. Er scheint aber offensichtlich so zu sein, dass sich in den Bereichen Buchhandlung, Gartencenter, Fahr- und Flugschule, körpernahe Dienstleistungen, Einzelhandel, Museen, Sport, Gastro, Theater und nicht zuletzt private Treffen etwas tut. Interessanterweise hat nichts davon eine Rolle in unserem bisherigen Leben 2021 gespielt. Größer wäre unser Interesse was mit Beherbergungsbetrieben Ende April so geht. Das wird aber erst am 22. März entschieden.
Die Zimmer im Pflegeheim sind entgegen meiner Annahme schon jetzt zugänglich und die beste Ehefrau von allen hat bei ihrem nachmittäglichen Besuch die Gelegenheit das Wohnumfeld meiner Schwiegermutter nach Monaten wieder einmal in Augenschein zu nehmen. Es ist ein bisschen Aufräumen angesagt um den leicht zwänglerischen Bedürfnissen der Bewohnerin nachzukommen. Im Standardpflegesatz sind solche Services nun einmal nicht enthalten.
Im Urlaubsort meiner Kindheit, Bad Hofgastein im Salzburger Land gilt ab heute Nacht eine Ausfahrtssperre wegen extrem hoher Inzidenzzahlen. Man kommt nur noch mit einem aktuellen negativen Coronatest raus.
ma

 

Mittwoch, 3. März 2021
Neuigkeiten aus dem Pflegeheim meiner Schwiegermutter. Ab kommende Woche gibt es organisatorische Änderungen, die man als Lockerungen bezeichnen könnte. Besucher können wieder auf die Stationen und Zimmer der Bewohner, statt sich nur in der zum Besuchsraum umfunktionierten Cafeteria zu treffen (bei näherer Betrachtung ist die Nähe der bisherigen Regelung zu denen in einem Gefängnis durchaus augenfällig). Spontanität ist nach wie vor der Sündenfall. Alle Termine müssen weiterhin über eine relativ frisch eingeführte App zur Anmeldung und Organisation vorab ausgemacht werden.
Um der Nachricht von vorneherein ihren positiven Grundton zu nehmen geht mit der Änderung die Abschaffung der Testungen vor Ort einher. Man muss sich also zukünftig selbst um einen gültigen Negativtest kümmern, der nach der alten Faustregel ‚nicht älter als 72 Stunden‘ funktioniert. In München ist das kaum kostenneutral sicherzustellen. Die Testergebnisse von der Theresienwiese kommen erfahrungsgemäß in einem Zeitraum von 48-96 Stunden nach Test oder gar nicht. Der Wegfall der Tests verunmöglicht letztlich Besuche von beruflich stark eingebundenen und finanziell weniger gut ausgestatteten Angehörigen.
ma

 

Sonntag, 28. Februar 2021
Wir drehen eine kleine Runde in St. Ottilien um unseren bewährten Auslauf zu bekommen.
ma

 

Freitag, 26. Februar 2021
Eine Weile war er vielleicht nicht verschwunden, aber doch weniger präsent. Der Begriff der ‚dritten Welle’. Jetzt aber bekommen wir ihn in voller Pracht präsentiert, denn lt. unserer Bundeskanzlerin sind wir schon drin – oder zumindest am Anfang. Schuld sind immer noch die Mutanten und die Konsequenzen sind auch naheliegend: Weitermachen mit Zuschließen.
Von einer vierten Welle spricht noch niemand, vielleicht auch, weil man die von den großen Grippepandemien des 20. Jahrhunderts nicht kennt. Und so neu kann Corona schließlich auch nicht sein. Vielleicht liegt es auch daran, dass zu viele Wellen, dann irgendwann eine Brandung ergeben. Von einer 15. Welle will schließlich niemand mehr was hören. Das ist dann irgendwie drüber.
Der elektronische europäische Impfpass ab Sommer ist inzwischen Beschlusslage. Welche Maßnahmen aus den Einträgen in diesem Pass abgeleitet werden, ist dann aber angeblich wieder Sache der Staaten. Eine idealer Ansatz um mögliche Einschränkungen erst einmal unterhalb der öffentlichen Wahrnehmbarkeit zu halten.
Ich habe die freie Zeit meines Kurzarbeitstages genutzt um mich für mögliche Impftermine anzumelden. Es ist vollkommen klar, dass das Monate vor einem realistischen Impftermin eigentlich noch nicht notwendig ist, aber ich war neugierig. Es sieht so aus als ob Terminanmeldungen für den Mainstream ohne Internet gar nicht ermöglicht wird. Die auf der Page angegebene Telefonnummer ist explizit für diejenigen reserviert, die keinen Zugang zum Internet haben. Vermutlich wird die Möglichkeit ohnehin nur zur Verfügung gestellt, weil in der Prioritätsgruppe 1 der über Achtzigjährigen die Internetdurchdringung nicht so wahnsinnig hoch ist.
Bei der Anmeldung werden neben den puren Personendaten auch noch Vorerkrankungen und Details zum Arbeitsfeld abgefragt, die eine Spiegelung möglicher Prioritäten darstellen. Ich kann weder mit einem Pflegeberuf, noch mit relevanten Vorerkrankungen glänzen. Die Liste scheint kürzer zu sein, als die, die bei der Ausgabe der Maskenzetterln zur Anwendung gekommen ist. Da wird es wohl in diesem Halbjahr nichts mit der Immunisierung.
ma

 

Donnerstag, 25. Februar 2021
Inzwischen wird auf europäischer Ebene sehr unverblümt über etwas gesprochen, das man ‚Impfprivilegien’ nennt. Klingt ja auch besser als Ungeimpftausschlüsse. Der nur halbverfängliche Ansatz eines europäischen Impfpasses wird fleißig diskutiert und soll am besten so wie die Warnfunktion per App kommen.
Auch die nationalen Balgereien um Impfstoffmengen landen inzwischen in der Öffentlichkeit. Angeblich finden kaum noch Exporte der in den USA und Großbritannien produzierten Impfstoffmengen statt während Produktionsstandorte in der EU nach wie vor Lieferverpflichtungen in Drittländer nachkommen. Das unterschwellige ‚wir lassen uns doch nicht zum Deppen machen’ und ‚Europe first’ wird nur noch schlampig in der Rhetorik verborgen. Die Lieferungen gehen vermutlich ohnehin nur in zahlungskräftige Regionen. Der Rest der Welt ohne eigenes Wissen und eigene pharmazeutische Produktionsstrukturen sind anscheinend ohnehin verloren bzw. abgeschlagen auf Platz 50. Die wenigen müde gewordenen humanistischen Stimmen argumentieren auch schon nicht mehr aus einer globalen Gerechtigkeitsperspektive heraus, sondern eher aus dem Blickwinkel der Folgen für die Industrienationen, wenn in Schwellenländern nicht geimpft wird. Neue Mutationen könnten bei einem unkontrollierten Infektionsgeschehen auftreten, die dann wiederum eine Bedrohung für die erste Welt, die man nicht mehr so nennt, darstellt.
ma

 

Mittwoch, 24. Februar 2021
Das Thema ‚Impfung’ taucht bei der besten Ehefrau von allen wieder am Horizont auf. Es wird wohl jetzt endgültig AstraZeneca werden. Konkrete Termine zur Erstimpfung gibt es noch keine.
ma

 

Sonntag, 21. Februar 2021
Der bei uns nie wirklich institutionalisierte Sonntagsbraten ist diesmal ein Hähnchen – frisch gegrillt und mit Pommes als Beilage versehen. Haben wir aber nicht selbst gemacht. Das erste Mal im zweiten Lockdown setzen wir auf externe Gastronomie und Abholung und dann gleich auf den Wienerwald, der eine der wenigen seiner verbliebenen Gaststätten in Laim betreibt. Im Netz gibt man sich mit einem Bestellportal, das ein wenig an die Bestellscreens in Mc Donalds-Filialen erinnert, recht modern. Telefonische Bestellungen will man nicht entgegen nehmen, dafür darf man aber vor Ort in bar zahlen. Beim Abholen unserer Jahn-Händel stoße ich dann aber auf eine ältere Dame, die sicher noch nie etwas von Internet gehört hat und vermutlich einfach ganz ohne vorbereitende Aktivitäten direkt im Straßenverkauf live bestellt hat. Verständlich, dass man bei der Renovierung des Marktauftritts diese Tür nicht zugeschlossen hat. Man will sein Stammpublikum schließlich nicht verprellen.
Für mich ist das ganze neben dem Heißhunger auf eine ungesunde Fett- und Kalorienbombe ein Stück weit auch von soziologischer und kulinarischer Neugier getrieben. Vor unserem Umzug nach Laim war mir nicht bewusst, dass gerade in München größere Reste des Franchises die spektakuläre Pleite in den 80er-Jahren überlebt hat. Der ‚alte’ Wienerwald ist in meinem Kopf fest mit der leicht provinziellen Bonner Republik verbunden, in der mehr oder minder korrupte übergewichtige Männer wackelige Imperien in Hinterzimmern aufbauen konnten. Die Filiale vor unserer Haustür hat, wenn man dem Internet glauben darf, noch mit die traditionellste Anmutung der verbliebenen Münchener Franchises. Ach ja: das Hendl selbst war echt ok.
ma

 

Samstag, 20. Februar 2021
Ein großer Reiseveranstalter, der 35 Hotels an klassischen Mittelmeerurlaubsdestinationen betreibt, kündigt an ab Herbst nur noch Geimpfte in seine Häusern aufzunehmen. Eine Korrektur des heute schon im Detail gesetzten Termins will man sich aber je nach Impflage offen lassen. Das Thema schafft es in die großen Medien, natürlich auch in die sozialen, wohl auch deswegen, weil es eines der ersten real gesetzten Impfprivilegien ist. Als privater Akteur mit dem Recht auf Vertragsfreiheit scheint das möglich zu sein.
Hier schlägt ein Konstrukt des Liberalismus zu, das erst einmal von Vertragsparteien ausgeht, die über einen vergleichbaren Möglichkeitsraum verfügen, d.h. ähnliches Machtpotential, Wissen, Kapitalausstattung und körperliche Möglichkeiten. Letztlich geht es hier um das Bild des ehrlichen (und natürlich weißen und männlichen) Kaufmanns, der sein Geschäft am besten noch per Handschlag besiegelt.
Ist natürlich seit der Entwicklung des Großkapitalismus im 19. Jahrhundert Pustekuchen. Die Idee der Konkurrenz zwischen großen Marktakteuren als Korrektiv hat hier das Bild des Gleichgewichts zwischen den Vertragsparteien ‚Konsument’ und ‚Produzent’ ersetzt. Das Entstehen monopolistisch organisierter Märkte soll verhindert werden um auf diese Weise sicherzustellen, dass ein Akteur seine überaus wuchtige Marktmacht einsetzt. Sollte das auf einem Markt mit mehreren Playern auftreten, wird sich schon einer finden, der ein besseres Angebot macht (und damit in den Vorstellungswelten von Volkswirtschaftlern ein Großteil des Geschäfts abschöpft). Es ist also nur ein anderer Konzern, der den Konsumenten von der Macht eines Konzerns schützt.
Sollte das der Weisheit letzter Schluss sein, wird sich die Frage der Impfprivilegien – oder anders gesagt der Ungeimpftsanktionierung – in der Breite auch daran entscheiden ob große wirtschaftliche Akteure die Impfverweigerer noch als relevanten Markt ansehen. Wenn das auch die Regeln in Branchen der Grundversorgung sind und man bei Edeka seinen Impfpass vorzeigen muss, wird es wirklich interessant.
ma

 

Freitag, 19. Februar 2021
Die Infektionszahlen stagnieren auf einem vergleichsweise hohen Niveau – zumindest, wenn man sie mit dem auslaufenden ersten Lockdown vergleicht. Die etwas müde-grantig geführte öffentliche Dis­kussion macht zwei Schuldige aus: die Mutanten, die – natürlich – alle Ausländer sind und die Lock­downmüden, die die Regelungen unterlaufen. Da sind dann aber wohl vor allem Inländer dabei.
ma

 

Donnerstag, 18. Februar 2021
Bekannte meines Vaters berichten von ihren Erfahrungen im Münchener Impfzentrum, das anscheinend in den aktuell nicht genutzten Messehallen in Riem eingerichtet wurde. Trotz der angeblichen Versorgungskrise mit Impfstoff scheint die Organisation vor Ort noch ein bisschen wackelig. Die Wartezeiten sind noch recht lang und die Pausen zwischen den einzelnen Schritten erheblich – Luxusprobleme für jeden, der gut zu Fuß ist, im Einzelfall eine Herausforderung insbesondere in der Prioritäts-gruppe der über Achtzigjährigen.
ma

 

Montag, 15. Februar 2021
Wir sind nach einem ruhigen Wochenende am Rosenmontag angekommen. Nun ist München glücklicherweise nicht unbedingt eine Hochburg des Faschings, aber dieses Jahr ist tatsächlich gar nichts von der fünften Jahreszeit zu spüren. Sogar der legendäre Tanz der Marktfrauen am morgigen Dienstag ist schon seit November abgesagt.
ma

 

Freitag, 12. Februar 2021
Wieder etwas gelernt. Seit heute wissen wir, was ein ‚Mutationsgebiet’ ist – nämlich Tirol und Tschechien – nicht ein postkatastrophales Areal, in dem sich wegen Radioaktivität oder Chemieabfällen ganz furchtbare menschenfressende Mutationen der lokalen Fauna entwickelt haben. Das gibt es nach wie vor nur in der zukunftsorientierten dystopischen Belletristik. Aber dort gibt es auch Szenarien, in dem die Menschen Masken tragen, weil mikrobiologisch nicht mehr alles okay ist.
Wir haben trotzdem unsere Organisationswut auf den Sommerurlaub ausgedehnt und auch hier eine Ferienwohnung mit Seezugang gebucht. Damit sind wir einmal mehr neben der Spur. Es scheint das Jahr zu sein in dem auch hartgesottene Vorausplaner erst einmal abwarten.
ma

 

Donnerstag, 11. Februar 2021
Die Restriktionen der letzten 12 Monate hat uns etwas agiler im Bereich der Urlaubsplanung werden lassen. Eigentlich waren wir nie die langfristigen Pläneschmieder und Wisser, was nächsten Sommer so ansteht und ‚was wir schon immer sehen wollten’. Dieses Jahr wollen wir uns zumindest die kleine Erholung möglichst früh sichern. Zwangsurlaubstage bis Ende April aufgrund pandemiebedingt schlechter Auftragslage spielt hier auch eine Rolle. Wir buchen jedenfalls unseren Frühlingsurlaub in einem Ferienappartment in Oberbayern in der Hoffnung, dass zu diesem Zeitpunkt die Beherbergung wieder möglich ist. Eine solche Konstellation scheint uns epidemiologisch recht neutral abwickelbar. Natürlich träumt man von einem Infektionsstand, der lokale Gastronomie nicht nur lokal zulässt, sondern sogar dazu führt, dass man sie mit einem guten Gefühl besucht.
ma

 

Mittwoch, 10. Februar 2021
Es ist zwar keine echte Überraschung, wird aber erst heute offiziell. Eine Verlängerung des Lockdowns bis Ende der ersten Märzwoche ist jetzt Beschlusslage. Aus Bayern gibt es leicht nationalistischen Alarmismus, nach dem Motto ‚Tschechien und Österreich sollen jetzt mal die Disziplinierung ihrer Leute auf die Kette kriegen, sonst ziehen wir die Zugbrücken hoch‘. Es gibt aber auch gute Nachrichten. Die Friseure dürfen schon ab 1. März wieder Köpfe kürzer machen. Ein frisurentechnisches Comeback der 70er-Jahre soll anscheinend unbedingt vermieden werden.
ma

 

Dienstag, 9. Februar 2021
Das Impfdrama in der Arbeitsstätte der besten Ehefrau von Allen geht weiter. Mit neuen noch nicht konkreten Terminen am Horizont gibt es erst einmal neue Infoblätter mit der Bitte um Abzeichnung, die jetzt eher auf das Präparat von AstraZeneca ausgelegt sind. Euphorie löst das keine aus. Nach allem was man weiß, ist die Wirksamkeit der Impfung geringer, als bei den anderen Präparaten und die Nebenwirkungsliste liest sich opulenter als die der Konkurrenz. Die kennt die beste Ehefrau von allen nämlich schon aus der ersten Impfplanung, die rein bürokratisch damals schon bestens vorbe­reitet war.Wir versuchen das Beste aus den Zwangsurlauben zu machen, die bis Ende April genommen werden müssen und hoffen zumindest im April am Schliersee Quartier beziehen zu können.
ma

 

Montag, 8. Februar 2021
Ein weiterer Tag im Büro bei epidemiologisch korrekt herunter reduzierter Besetzung.
ma

 

Sonntag, 7. Februar 2021
Wir lüften noch einmal auf einer Runde um St. Ottilien aus und nutzen den Rest des Tages für ein bisschen Hausarbeit.
ma

 

Samstag, 6. Februar 2021
Nach einem etwas trägen Start in den Tag lüften wir auf einem Spaziergang um das bewährte St. Ottilien aus. Der Schnee ist verschwunden und die Berge liegen in dunstigem Licht. Am Automaten am Hofladen, der Milchprodukte und Nudeln enthält, ist einiges los, wie anscheinend oft an Samstagen.
Der Zwangscharakter der Pandemiemaßnahmen wird zumindest rhetorisch weiter konturiert. Die Regierungen der Länder sprechen offen über Zwangsunterbringung für Quarantäneverweigerer – zumindest, wenn man den Newsportalen im Internet glauben darf, die an den großen freien E-Mailanbietern hängen.
ma

 

Freitag, 5. Februar 2021
Nach einem Tag im Büro ist die beste Ehefrau von allen wieder zu Hause. Der Besuch bei meiner Schwiegermutter war soweit in Ordnung, nur ist inzwischen Militär im Haus. Um ein lückenloses Angestelltentesting bei einer arg strapazierten Personaldecke umsetzen zu können, hilft inzwischen die Bundeswehr. Auch meine Schwiegermutter hat ihren Testoffizier, der sie wohl regelmäßig mit Teststäbchen traktiert.
ma

 

Donnerstag, 4. Februar 2021
Das Pflegeheim meiner Schwiegermutter öffnet wieder seine Pforten. Die beste Ehefrau von allen hat auch gleich für morgen einen Besuchstermin inklusive Vorabschnelltest bekommen. Aus der Küche dringen derweil die Geräusche, die zu einer veritablen Kuchenzubereitung gehören. Das Essen im Heim ist nicht besonders, eingeschmuggelte Nahrungsergänzungsmittel sind da jederzeit willkommen.
ma

 

Dienstag, 2. Februar 2021
Nach einem gescheiterten Anlauf wird in der Einrichtung der besten Ehefrau von allen erneut über einen neuen Impfanlauf gesprochen. Noch gibt es keine Termine und auch kein Vertrauen, dass sie im Zweifelsfall gehalten werden. Hier spiegelt sich ein wenig die Stimmung, die auch auf der großen Bühne der Pandemiebekämpfung herrscht. Das national-selbstzufriedene ‚wir kriegen das besser als alle anderen hin’ ist an den offensichtlichen Mängeln bei der Versorgung mit Impfstoff zerschellt wie Gläser, die von einem torkelnden Betrunkenen von den Cocktailtischen eines Stehempfangs abgeräumt werden. Betrogen um ihre Hoffnung auf baldige Normalität werden die Leute langsam knatschig.
ma

 

Montag, 1. Februar 2021
Wir sind immer noch im Lockdown, aktuell bis mindestens 14. Februar. Kultur, die Gastronomie und der Einzelhandel leiden also weiter, genau wie alle, die in ihren gemeinsamen Wohnungen vor allem deswegen noch halbwegs zurechtkommen, weil sie regelmäßig fliehen können. Gleichzeitig läuft an meiner Arbeitsstelle eine neue Phase der Kurzarbeit mit einer Reduktion der Arbeitszeit auf 80% an.
Es gibt auch neue Nachrichten aus dem Pflegeheim meiner Schwiegermutter. Corona hat sich dort weiter verfestigt. Es gibt einen weiteren Fall und damit wahrscheinlich ein weiter andauerndes Besuchsverbot. Aktuell kann man der Vereinsamung meiner Schwiegermutter nur mit Telefonaten und am Eingang übergebenen Kuchen entgegen wirken.
ma

 

Sonntag, 31. Januar 2021
Wir nutzen den niederschlagsfreien Vormittag für eine weitere Runde um das Kloster am Rande des Fünf-Seen-Lands. Wir sehen erst jetzt, dass von der Lagerhalle für Holzhackschnitzel am Rand des bebauten Geländes nur noch ein verkohltes Gerippe übrig geblieben ist. Jetzt lassen sich die verbogenen Blechplatten auf dem Parkplatz schon ein Stück leichter erklären. Es handelt sich offensichtlich um Teile der Blechverkleidung der Halle, die beim Einsturz verformt wurden. Tatsächlich ist das Gebäude schon in der Nacht auf den 18. Januar abgebrannt und wurde von der örtlichen Feuerwehr mit einem Großeinsatz bedacht. Erstaunlich, dass uns das nicht schon gestern aufgefallen ist.
Mitte Februar beginnt nach dem Fasching die Fastenzeit. Letztes Jahr waren das die letzten Großveranstaltungen vor dem Lockdown just zu diesem Anlass.
ma

 

Samstag, 30. Januar 2021
Wir beginnen den Tag mit einer Fahrt zum Spazierengehen nach St. Ottilien. Wir sind wirklich früh dran und können durch ein menschenleeres Gelände spazieren. Nur am Automaten beim Hofladen entsteht supermarktähnliche Hektik. Viele fahren hier noch kurz vorbei um noch eine Kleinigkeit mitzunehmen. Ein Teil des Parkplatzes vor der Klostergaststätte wird von unstrukturiert abgelagerten riesigen Blechbeschlägen belegt – es wirkt wie ein Readymade von geradezu gigantischen Ausmaßen, auch wenn es sicher nicht so gemeint ist.
Die Samstagspost bringt Berechtigungsscheine für Schutzmasken mit hoher Schutzwirkung in Haus. Adressat bin ich. Laut Begleitschreiben wird mir diese Berechtigung gewährt, weil ich Teil einer Risikogruppe bin. Ich muss kurz nachdenken um die Quelle dieser Einschätzung zu verorten. Es kann sich nur um meinen diagnostizierten Heuschnupfen handeln, der im Frühjahr manchmal eine leicht asthmatische Tönung bekommt.
Die Frage woher die Bundesregierung, die als Absender auf dem Briefkopf steht, das weiß lässt dann doch ein Stück weit Datenschutzparanoia aufkommen. Den Staatsdienst könnte ich mir bei dieser Datendurchlässigkeit wohl abschminken, wenn ich denn jung genug wäre.
ma

 

Donnerstag, 28. Januar 2021
Ein weiterer Tag im Homeoffice. Auf einer virtuellen Mitarbeiterversammlung wird eine neue Phase der Kurzarbeit für Teile des Konzerns ab Februar, also kommenden Montag, angekündigt. Auch mein Bereich ist betroffen. Der Blick aus dem Fenster kündet von einem vorläufigen Ende des Winters. Relativ hohe Plustemperaturen lösen in der Stadt die letzten Eisplatten von den Straßen.
ma

 

Dienstag, 26. Januar 2021
Ich verbringe den Tag im Büro, das weiterhin nur eine Mindestbesetzung aufweist. Teilweise fällt noch frischer Schnee und deckt eine Stadt, deren Bewohner sich in ihre Höhlen zurückgezogen haben, weiter zu.
Abends können wir nach Einbruch der Dunkelheit beobachten, wie Kinder und Eltern ihre Schlitten vom kleinen Hügel im Agricolapark in Richtung zu Hause ziehen. Nur die Ausgangssperre hindert uns an einem spontanen Ausflug mit Schlitten zum verlassenen Hügel.
ma

 

Montag, 25. Januar 2021
Bei geschlossener Schneedecke und Schneetreiben erfolgt die Beisetzung im kleinsten Kreis. Formal würde man von zwei Haushalten sprechen, die sich da mit dem Friedhofsbediensteten und dem Pfarrer treffen um die Urne über den Friedhof zum Grab zu bringen. Wir sind alle maskiert. Der Pfarrer entfernt sie nur für die Gebete und den Segen am Grab.
Bis abends fällt noch richtig viel Schnee. In der Nacht auf Dienstag liegt in Laim mehr als wir aus den letzten zwei Wintern kennen.
ma

 

Sonntag, 24. Januar 2021
Wir beschäftigen uns mit Haarpflege bei der besten Ehefrau von allen. Die erste Hälfte des Haarfärbe-mittels von ihrem Stammfriseur wird aufgebraucht und ich kann meine im ersten Lockdown erworbenen Färbekenntnisse weiter vertiefen. Es ist auch eine Vorbereitung zur morgigen Beisetzung, der wir gepflegt entgegen treten wollen. Veritables Aussehen dient eben auch als emotionale Rüstung.
ma

 

Samstag, 23. Januar 2021
Um für die Beisetzung am Montag sicher zu gehen, bucht die beste Ehefrau von allen einen Schnelltest bei der Teststation in der Freiheizhalle neben der Donnersberger Brücke. Obwohl es derselbe Anbieter wie im Pacha ist, scheint man dort flexibler. Es sind noch Termine am selben Tag frei und vor Ort ist recht wenig Betrieb. Die hohen Hallen und der geringe Andrang vermitteln ein epidemiologisch gutes Gefühl.
Ich erfahre aus der Zeitung, die seit Frühjahr wieder eine größere Rolle in unserem Leben spielt, von der Pleite von Maredo. Im Artikel wird dieses Scheitern nur teilweise dem Lockdown zugeschrieben. Eine deutsche Steakhauskette, die so tut als sei sie südamerikanisch, sei so dermaßen 70er, dass ein Scheitern auch ohne Lockdownphasen und Corona unausweichlich gewesen sei – so der Tenor des Artikels. Ich muss an die Asado-Filiale in unserer Nähe denken, die wir in den letzten Jahren nur einmal besucht haben und die seit ich sie kenne eigentlich immer wie zu groß geplant wirkt.
Geänderter Publikumsgeschmack hin oder her: die Nachricht wirkt auf mich trotzdem eher als Vorbote einer massiven Strukturänderung in der Gastronomie. Die besonders anfälligen Einzelgastronomen schaffen es vermutlich nicht in die Zeitung, sondern sind dann im Frühjahr einfach weg oder ersetzt durch systemgastronomische Filialen, die den Kapitalstock haben um die Lockdownphasen durchzuhalten.
ma

 

Freitag, 22. Januar 2021
Mitten im Homeofficetag liegt eine kurze Softwareschulung im größeren Kreis, die selbstverständlich Online abgehalten wird. Während der Veranstaltung geht die beste Ehefrau von Allen auf die Suche nach Kleidungsstücken, die noch im Wohnzimmer zum Trocknen hängen, also just in dem Raum, der aktuell auch meinen Heimarbeitsplatz beinhaltet. Pikanterweise ging es bei der Suche um die ersten Stücke der Oberbekleidung. Meine Kamerafaulheit in größeren Meetings hat sich hier erstmals als extrem nützlich erwiesen und so geht dieser Beinahehomeofficeunfall zum Glück nicht in die Annalen der Pandemiebewältigung meiner Firma ein.
Geburtstagsanruf bei meiner Tante, die in einer mittelgroßen Stadt in Franken beheimatet ist. Allein-stehend und über achtzig kann man eine kaum bekämpfte Ausbreitung der Stille feststellen. Es wirkt manchmal ein bisschen so, als müsste sie sich an das den Vorgang des Sprechens erinnern.
ma

 

Donnerstag, 21. Januar 2021
Im Pflegeheim meiner Schwiegermutter fallen erneut Covidtests positiv aus. Das Pflegeheim wird nach außen soweit es geht abgeschottet und zwei Pflegebereiche werden unter Quarantäne gestellt. Besuche sind bis auf weiteres nicht möglich. Genaueres ist wie so oft nicht zu erfahren.
ma

 

Dienstag, 19. Januar 2021
Die Einrichtung, in der die beste Ehefrau von allen beschäftigt ist, ist mit einer Stornierung der Impfplanung konfrontiert. Alles war für kommenden Dienstag geplant, inklusive des Teams vor Ort. Impfstoffmangel heißt das Schlagwort des Monats. Einen neuen Termin gibt es noch nicht. Dafür Gerüchte von Ärzten, mit denen die beste Ehefrau von allen in Kontakt steht. Neben dem breit diskutierten Missmanagement bei der Impfstoffversorgung gibt es auch Gerüchte, dass der Zugang zu Impfdosen nicht immer unter strenger Anwendung des Verteilschemas erfolgt. Je nach politisch aufgeladenem sozialem Kapital erreichen einige eine leicht gebeugte Prioritätszuschreibung.
ma

 

Montag, 18. Januar 2021
Entgegen unserer Erwartung hat der am Freitag halberfolgreich vereinbarte Testtermin letztlich doch geklappt, auch wenn die beste Ehefrau von allen die hocheffiziente Fließbandproduktion von Testergebnissen ein Stück weit aufgehalten hat. Ohne Code musste sich die Clearingstelle am Eingang halt ein bisschen mehr Mühe geben bei der Prüfung ob das alles so seine Richtigkeit hat. Die Teststelle im Herz der Stadt und des pseudomondänen Nachtlebens erfreut sich anscheinend großer Beliebtheit. Die beste Ehefrau von allen fand sich in einer veritablen Schlange wieder und war vor allem von Menschen mit Reisekoffern umgeben. Anscheinend ist der ‚Testclub‘ vor allem bei Geschäftsreisenden beliebt, die ihr Ergebnis im Flieger bekommen und dann bei der Landung vorzeigen können.
Der aktuelle Lockdown schließt das Friseurhandwerk viel drakonischer mit ein als sein Vorgänger im Frühling. Um den Auswirkungen auf die äußere Erscheinung wenigstens ein Stück weit entgegenwirken zu können, ordert die beste Ehefrau von allen beim Friseur ihres Vertrauens Haarfärbemittel um die Heimpflege von damals zu wiederholen.
Erneut findet in ihrer Einrichtung ein Reihentesting statt, das aber aufgrund ihres freien Tages dort ohne sie stattfindet.
ma

 

Sonntag, 17. Januar 2021
Wir lüften um die Mittagszeit bei einem Spaziergang um St. Ottilien aus. Schneegestöber bei leichten Minusgraden hinterlassen ein erfrischendes Gefühl. Die Impfung für die beste Ehefrau von allen soll noch im Januar angeboten werden. Sie will den Weg mitgehen.
ma

 

Samstag, 16. Januar 2021
Der Winter nimmt erneut Fahrt auf. Vor unserem Fenster fallen die meiste Zeit des Tages dicke Flocken, die auch liegen bleiben.
ma

 

Freitag, 15. Januar 2021
Die beste Ehefrau von allen entschließt sich auf eigene Faust einen Schnelltest durchzuführen um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein. Ihre Wahl fällt auf ein in einem Club in der Innenstadt beheimatetes Testzentrum. Termin gibt es nur bei Buchung über das Internet über eine etwas wackelig programmierte Webseite. Die beste Ehefrau von allen biegt bei der Auswahl der Zahlungsmodalitäten einmal falsch ab und landet in einem undefinierten aber ärgerlichen Zustand. Die Zahlung ist irreversibel gelaufen, Buchungscode für den ausgewählten Termin am Montag gibt es keinen.
ma

 

Donnerstag, 14. Januar 2021
Aufgrund des neuen Covid-Falls in der Einrichtung der besten Ehefrau von allen findet eine umfassende Massentestung von Personal und Klienten im Haus statt. Die beste Ehefrau von kommt nicht in den Genuss eines Updates ihres Coronastatus, denn sie hat frei.
ma

 

Mittwoch 13. Januar 2021
In Bayern wird die FFP2-Maskenpflicht in Läden und öffentlich zugänglichen Gebäuden für die kom­mende Woche angekündigt.
ma

 

Dienstag, 12. Januar 2021
An der Arbeitsstelle der besten Ehefrau von allen ist ein neuer Covid-Fall aufgetreten. Drei weitere Bewohner des Hauses wurden in den Stand von Kontaktklasse eins erhoben und befinden sich dem-entsprechend in ihrer weisungsgemäßen Quarantäne. Da die Schwestereinrichtung auch pflegerische Betreuungselemente enthält, wird eine impftechnische Einstufung als Priorität eins angestrebt.
ma

 

Montag 11. Januar 2021
Auch die zweite Januarwoche enthält einige Homeofficetage um den Arbeitsplatz nicht zum Risikobereich zu machen.
ma

 

Sonntag, 10. Januar 2021
Die redaktionellen Arbeiten am Buch gehen weiter. Die beste Ehefrau von allen kauft sich bei Disney + ein um die zweite Staffel des Mandalorian sehen zu können. Die erste haben wir noch in Zeiten eines kostenfreien Probeabos gesehen. Netflix hatte sich schon vor dem Lockdown als zwangloser Zeitfresser bei uns etabliert.
ma

 

Samstag, 9. Januar 2021
Ein Freund hat sich ein Buch mit Beiträgen seiner Freunde zum 50. Geburtstag gewünscht. Auch wenn heute noch nicht klar ist, ob das Ergebnis zum Termin am 1. Mai auch live übergeben werden kann, liegen schon viele Beiträge vor. Das Redigieren füllt den Samstag im Lockdown.
ma

 

Freitag, 8. Januar 2021
Die konkreten Auswirkungen des Lockdowns unterlaufen die Pläne der besten Ehefrau von allen. Der Tagesbesuch der Freundin in der Reha wird verworfen. Es gibt vor Ort schlicht keine Möglichkeit sich in Innenräumen zu treffen – egal ob maskiert oder nicht. Die schneereiche Phase, in der sich der Winter aktuell befindet, macht eine zweistündige Fahrt an deren Ende lediglich ein Spaziergang im Freien stehen kann, nicht unbedingt attraktiv.
ma

 

Mittwoch, 6. Januar 2021
Der Dreikönigstag inszeniert sich wie aus einem Bilderbuch aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. Der Schnee hat es bis in die Stadt hinein geschafft und wird von weiterem Schneefall über den Tag ergänzt. Wir nutzen den Feiertag für einen Spaziergang um St. Ottilien. Die Flocken von oben und die verschneiten Wege sind dabei kein Hindernis, sondern gewünschter Teil des Erlebnisses. Gefühlt ist der Schneewinter für einen Städter in Mitteleuropa inzwischen schon fast etwas Fernes, etwas, das keinen Einfluss mehr auf den eigenen Alltag hat. So stapfen wir also knirschenden Schrittes die Güterwege entlang, auf denen Schlitten- und Trampelspuren den Weg vorzeichnen. Es tut gut, vermittelt das Gefühl einmal wieder richtig ‚auszulüften’. Ob ein solcher Ausflug demnächst noch möglich sein wird, ist ohnehin ungewiss.
Der Lockdown, ursprünglich bis 31. Januar gesetzt, wird bis Ende des Monats verlängert, in Teilen sogar verschärft. Noch kleinerer Zuschnitt der privaten Zusammenkünfte und die Festlegung eines Bewegungsradius von 15 km in Zonen hoher Inzidenz. Noch wird gestritten ob dieser prinzipiell beschlossene ‚Joker’ im konkreten Fall gezogen wird.
Die beste Ehefrau von allen plant einen Tagesbesuch bei einer Freundin, die morgen ihre Reha im Allgäu antritt.
ma

 

Dienstag, 5. Januar 2021
Die coronabedingte Rotation, die die Einhaltung der Hygieneregeln im Büro erleichtern soll, hat zum ersten Homeofficetag 2021 geführt.
ma

 

Montag, 4. Januar 2021
Der besten Ehefrau von Allen gelingt ein Besuch bei ihrer Mutter. Der Ersatztermin für Samstag kann mit vorgeschaltetem und negativem Schnelltest stattfinden. Bei ihr klappt das auch gut. Sie ist eine Weile vor Termin vor Ort und bekommt rechtzeitig das Ergebnis bzw. die Freigabe um sich mit Maske im Besuchsraum, der früher das Restaurant und Café des Heims war, mit ihrer Mutter zu treffen. Beim Warten auf die Testergebnisse erfährt sie aber auch, dass andere Angehörige oft nicht so viel Glück haben. Sie berichten von Verzögerungen und Pannen beim Schnelltest, die dazu führen, dass der Freigabezeitpunkt schon in die vorher vereinbarte Besuchszeit hineinragen. So schmilzt die Zeit mit den Angehörigen im Pflegeheim noch weiter. Theoretisch können auch Freunde sich Termine für Besuche bei den Bewohnern geben lassen, wenn ein negativer Test vorliegt, doch es scheinen vornehmlich Verwandte zu sein, die dies tatsächlich tun.
Es gelingt uns zumindest heute unserem impliziten Jahresvorsatz gemäß das Fernsehen zugunsten des Lesens ein Stück weit zurückzufahren.
ma

 

Samstag, 2. Januar 2021
Ich verbringe den Tag mit einer Kollegin im Büro um verschiedene jahreswechselbedingte Änderungen in IT-Systemen zu implementieren. Hier ist vor allem der Brexit ein Thema, der tatsächlich am gestrigen Freitag letztlich vollzogen wurde.
Die beste Ehefrau von allen wollte eigentlich einen Besuchstermin bei ihrer Mutter im Pflegeheim wahrnehmen, ist aber letztlich an der aktuellen Verfassung der Münchener Testorganisation gescheitert. Die Ergebnisse des Tests vom Mittwochabend liegen noch nicht vor, am Wochenende ist auch niemand zu erreichen, der hier noch etwas aus der Tiefe der Datenbank hervorzaubern könnte. Die aktuellen Zugangsregelungen verlangen also ein Zusammenschrumpfen des persönlichen Kontakts auf eine Übergabe von Wäsche auf Distanz. Für meine Schwiegermutter ist diese kurzfristige Änderung altersbedingt nicht mehr nachzuvollziehen. Die Tochter, die kurz da ist, aber irgendwie nicht näher kommt um sich zu unterhalten bleibt heute ein erklärungsbedürftiges Phänomen.
ma

 

Freitag, 1. Januar 2021
Die Straßen wirken so viel sauberer als sonst an Neujahr. Das mag zwar aus der Perspektive der Vernunft und der Umwelt in Ordnung sein, aber ein bisschen vermisse ich die katergeschwängerte Verfallsstimmung, die von ausgebrannten Raketenkörpern und Knallern auf den Straßen und Gehsteigen ausgehen.
ma

 

Donnerstag, 31. Dezember 2020
Auch an Silvester gilt die aktuelle Ausgangsbeschränkung. Sie bezieht sich ausdrücklich auch auf das Verlassen des Hauses zum Abfeuern von Raketen. Das ist verboten. Anscheinend ist der Jahreswechsel nicht heilig genug um die weihnachtlichen Ausnahmen zu rechtfertigen. Auch die Regeln der Zusammenkunft sind recht strikt. In München herrscht innerhalb des mittleren Rings zudem ein formales Böllerverbot.
Es gibt trotzdem in Laim ein paar Raketen vom Balkon aus zu sehen – das Viertel liegt aber auch außerhalb der Verbotszone.
ma

 

Mittwoch, 30. Dezember 2020
Die beste Ehefrau von allen hat am Nachmittag erneut einen Testtermin auf der Theresienwiese. Sie hat einen Besuchstermin für kommenden Samstagvormittag im Pflegeheim bei ihrer Mutter, darf dort aber nicht ohne einen ‚aktuellen’ Test aufschlagen (‚aktuell’ heißt in der derzeitigen Diktion, dass der Testzeitpunkt innerhalb der letzten 72 Stunden liegen muss). Samstags werden im Heim aber nicht, wie unter der Woche, vor Ort Schnelltests angeboten. Der Termin am späten Nachmittag erfüllt gerade noch so das Aktualitätskriterium und bietet die bestmögliche Chance, dass das Ergebnis rechtzeitig kommt. Obwohl selbst nicht mit einem Termin versehen, chauffiere ich sie. Die Infrastruktur auf der Fläche, die in anderen Jahren noch die Reste des Wintertollwoods beherbergen würde, ist immer noch für einen großen Durchsatz von PKWs ausgelegt. Der Andrang hält sich an diesem Abend in Grenzen.
ma

 

Sonntag, 27. Dezember 2020
Wir haben einen unsanften Start in den Geburtstag. Der für heute angekündigte bayernweite Impfstart beginnt ausgerechnet in Pflegeheim meiner Schwiegermutter – begleitet von einem veritablen Medienspektakel und einer bayerischen Gesundheitsministerin. Wir sind irritiert und verärgert. Das Pflegeheim hatte zwar prinzipiell die Einverständniserklärung zur Impfung eingeholt, aber weder den windigen Aufklärungszettel ohne Nachfrage übermittelt, noch mit einem Wort erwähnt, dass das Heim der Pilot unter der Lupe des Bayerischen Rundfunks sein würde. Glücklicherweise wird nur ein Musterpärchen zur Impfung vor die Kamera gezerrt, während meine Schwiegermutter ihre Impfung in Ruhe im Wohnbereich bekommt.
Wir machen gegen Mittag einen Spaziergang auf dem Höhenzug hinter dem Ammersee. Es fühlt sich das erste Mal so richtig wie Winter an. Die Landschaft ist mit einem leichten Schneezucker überzogen und milde Minustemperaturen haben die Trampelpfade oberflächlich gefroren. Auf dem Parkplatz vor dem geschlossenen Gasthaus finden sich um die Mittagszeit erstaunlich viele Autos und auch die Quote der Spaziergänger, denen man ausweichen muss, ist höher als einem schönen Sommersonntag.
Es wird am Ende der erste zweisame Geburtstag der besten Ehefrau von allen solange ich mich erinnern kann. Immerhin nimmt am Nachmittag die elektronische Kommunikationsintensität zu. In ihrem Fall bedeutet das das gute alte Telefon und What’s App.
ma

 

Samstag, 26. Dezember 2020
Der zweite Weihnachtsfeiertag gestaltet sich ruhig. Er enthält viel Zeit am Schreibtisch. Kurz bevor das Tageslicht in Dämmerung übergeht machen wir uns noch auf den Weg nach St. Ottilien für eine schlammige Runde in Richtung Geltendorf.
Die beste Ehefrau von allen beschließt endgültig ihren morgigen Geburtstag ohne Gäste zu verbringen. Auch wenn die offizielle Regelung Mitglieder eines weiteren Haushalts gestatten würde, kommt keine rechte Motivation auf, zu dritt oder zu viert im Wohnzimmer mit Masken zu sitzen.
ma

 

Donnerstag, 24. Dezember 2020
Weihnachten ein bisschen anders, aber nicht wesentlich. Die beste Ehefrau von allen muss in der Früh zum Coronaschnelltest im Pflegeheim ihrer Mutter um ihren Nachmittagstermin mit frischem Testergebnis wahrnehmen zu können.
Der Besuch selbst findet dann ausnahmsweise im Zimmer statt, nicht in der zum Begegnungsraum umfunktionierten ehemaligen Cafeteria. Die Besucher werden schon beim Testen darauf hingewiesen, dass während der kompletten Zeit FFP-2-Masken zu tragen sind. Kontrollen sind auch angekündigt, genau wie Sanktionen bei Nichtbeachtung: Hausverbot im Pflegeheim. Vor 25 Jahren hätte ich das als Slogan noch extrem lustig gefunden.
Die EU und Großbritannien haben die Zeit vor den Feiertagen offensichtlich noch für intensive Verhandlungen genutzt. Eine Einigung in Sachen Abkommen zum Brexit wird verkündet.
ma

 

Dienstag, 22. Dezember 2020
Am letzten Arbeitstag vor Weihnachten isst die beste Ehefrau von allen mit zwei Kolleginnen zu Mittag – ohne Maske und auch nicht immer unter Einhaltung des Mindestabstands. Obwohl die Einrichtung einem regelmäßigen Monitoring durch das Testen der Mitarbeiter unterliegt, stellt sich im Nachhinein Nervosität ein. Eine neue Quarantäne und der damit einhergehende Ausschluss aus den Besuchsbereichen des Pflegeheims, in dem ihre Mutter untergebracht ist, ist eine ebenso sorgenbesetzte Vorstellung, wie eine mögliche Ausprägung von Corona bei einem selbst.
Die Grenzschließung zu Großbritannien hat inzwischen zu spektakulären Schlangen an den Grenzübergängen geführt. LKW-Fahrer hängen fest und die Supermarktketten auf der Insel fürchten um ihr frisches Gemüse.
ma

 

Montag, 21. Dezember 2020
Frankreich hat die Grenze zu Großbritannien geschlossen. Dabei geht es nicht um ein vorgezogenes Geplänkel wegen eines Brexits, zu dem noch immer keine Einigung existiert, sondern es geht einmal mehr um Corona. In Großbritannien ist eine neue Mutation des Virus aufgetaucht, die angeblich deutlich ansteckender ist als die Ausprägung, die uns nun schon seit Anfang des Jahres begleitet.
ma

 

Sonntag, 20. Dezember 2020
Vierter Advent und Lockdown. Wir vergessen die letzte Kerze am Adventskranz anzuzünden.
ma

 

Samstag, 19. Dezember 2020
Das letzte Adventswochenende vor Weihnachten läuft unter Lockdownbedingungen. Läden mit Ver­sorgungsauftrag haben offen, der Rest ist geschlossen. Die Versandhandelslogistik läuft Amok und auch wir sind Teil dieser Entwicklung. Wir haben den traditionellen Schenkritualen trotz guter Vorsätze nur teilweise abgeschworen. Und so ergießt sich ein Strom von Paketen auch in unsere Wohnung in Laim.
ma

 

Donnerstag, 17. Dezember 2020
Die Trauerfeier findet unter Lockdownbedingungen statt. Die Halle darf erst pünktlich zum Start der Veranstaltung betreten werden und Anwesenheitslisten müssen geführt werden. Die Feier dauert etwa 45 Minuten und wird von den Teilnehmern maskiert und mit Mindestabstand bei der Bestuhlung verbracht. Nach dem Ende müssen die Trauergäste das Gelände gleich wieder verlassen. Die Gaststätten sind ohnehin geschlossen.
Wir fahren uns im Nachgang eine große Schraube in den rechten vorderen Reifen unseres Autos und sind gezwungen direkt ins Autohaus zu fahren, das ganz offensichtlich noch offen hat. Es scheint sich dabei um systemrelevante Einrichtungen zu handeln.
ma

 

Mittwoch, 16. Dezember 2020
Ein Homeofficetag mit leicht verlängerter Arbeitszeit. Das Motiv ‚das muss vor Weihnachten noch raus und oder fertig werden’ prägt unterschwellig auch diese zweite Dezemberhälfte.
ma

 

Dienstag, 15. Dezember 2020
Ein Bürotag, der sich ausnahmsweise an meinem eigentlichen Platz abspielt. In den letzten Wochen habe ich die Möglichkeit genutzt den Tag alleine in einem Büroraum zu verbringen um das Infektionsrisiko noch weiter zu drücken.
Ein Kollege erscheint nachmittags im Büro um sich mit IT-Equipment zu versorgen. Er trägt eine recht lächerliche Schutzmaske, die in Frakturschrift das Wort Bürgermaulkorb trägt. Eine Phrase, die ich eher von einem Mitglied der AfD erwartet hätte. Es scheint ihm auch ein Bedürfnis zu sein darüber zu reden. Er gibt vor, die Abteilungsleiterin nicht wieder zu erkennen, weil man sich das letzte Mal persönlich noch ohne Maulkörbe gesehen hätte. Für jemand, der einen Maulkorb trägt, kann er also relativ viel Unsinn unwidersprochen von sich geben.
ma

 

Montag, 14. Dezember 2020
Die neuen Regelungen vom Wochenende erfordern Klärungen für die Trauerfeier. Die Empfehlung sieht nur noch Verwandte ersten und zweiten Grades vor, im Einzelfall kann aber davon abgewichen werden. Angesichts der übersichtlichen Gesamtgröße der Veranstaltung einigen wir uns auf eine Durchführung mit dem bereits benachrichtigen Adressatenkreis von ca. 15 Personen. Die Trauerhalle lässt für diese Anzahl von Menschen eine Einhaltung des Abstands gut zu.
Die Bücher, die ich in die Buchhandlung in das Einkaufszentrum in Pasing bestellt habe, sind angekommen und das, obwohl die Bestellung erst am Samstag über die Webpage erfolgt ist. Das sagt zumindest eine E-Mail von der Buchhandlung. Ich stelle mich am vorletzten Tag vor dem Lockdown auf eine nervenzehrende Abholung ein. Das trifft dann tatsächlich aber nicht zu. Es findet sich zwar Polizei in dezenter Einsatzstärke um das Einkaufszentrum herum, die Besucherzahlen im Gebäude erscheinen mir aber für die Abendstunden verkraftbar. Ich muss zwar ein paar Minuten vor der Buchhandlung anstehen, kann das aber mit ordentlichem Abstand und unbedrängt von Laufpublikum tun.
ma

 

Sonntag, 13. Dezember 2020
Ein Sonntag mit Neuerungen. Die Beschlüsse zum weiteren Vorgehen in der Pandemiebekämpfung liegen vor. Es wird eine Rückkehr zu einem harten Lockdown geben, der in seinen Details recht nahe an den Regelungen vom Frühjahr ist. Gelten sollen die Verschärfungen ab kommenden Mittwoch. Das bedeutet auch und vor allem, dass der Einzelhandel jenseits der Grundversorgung wieder schließen muss und den Endspurt des Weihnachtsgeschäfts nicht bestreiten kann. Die Erfahrungen mit diesem Lockdown werden wohl andere sein als im Frühjahr. Es fehlt das Neue und damit scheint auch die Mischung aus Sorge und ‚Wir schaffen das’ verflogen. Gegen Ende des Pandemiejahrs fehlt einem Großteil der Betroffenen ein Stück weit die Energie. Ein Aufschrei der Empörung jenseits der kleinen und lauten Minderheit der Querdenker ist für jemanden, der nicht an den sozialen Medien teilnimmt auch nicht zu hören. Schweigendes Ignorieren der Bestimmungen, wo möglich und bequem, scheint das Gebot der Stunde. Einem persönlichen Urteil möchte man sich trotzdem eher enthalten. Die eigene Verzichtsleistung hält sich schließlich sehr in Grenzen. Weder eine übermäßige Verdichtung in der Arbeit, noch eine Beschäftigungskrise und unsere Freunde und Bekannten haben wir leider schon vor Corona kaum gesehen.
ma

 

Freitag, 11. Dezember 2020
Die Infektionszahlen explodieren zwar nicht direkt, steigen aber weiter, obwohl der ‚sanfte Lockdown’ jetzt schon mehr als eine Inkubationszeit läuft. Die öffentliche Debatte über situationsangemessene Maßnahmen wird hysterischer und eine ‚harte’ Bremse in Form eines weiteren Lockdowns, der sich in seinen Maßnahmen am ersten orientiert, noch vor Weihnachten, ist nicht ausgeschlossen.
ma

 

Mittwoch, 9. Dezember 2020
Wir verbringen den Abend in der elterlichen Wohnung und fahren gegen 21.30 Uhr zurück nach Laim. Die Straßen wirken leerer als sonst. Erst im Nachhinein fällt uns ein, dass wir durch unsere späte Rückkehr vermutlich die Ausgangssperre ab 21.00 Uhr unterlaufen haben.
ma

 

Dienstag, 8. Dezember 2020
Die Diskussion um eine Verschärfung und einen weiteren ‚harten’ Lockdown wird wieder lebhafter geführt. Die Zahlen wollen nach wie vor nicht zurückgehen.
ma

 

Sonntag, 6. Dezember 2020
Von München aus werden für Bayern Verschärfungen bei den Corona-Maßnahmen ab kommenden Mittwoch verkündet. Dazu gehört unter anderem die Bewegung in der Öffentlichkeit nur noch aus triftigen Gründen – aber jahreszeitbedingt auch Weihnachtseinkäufe und natürlich der Arbeitsweg. Die Landkreise und Städte mit hoher Inzidenz bekommen zusätzlich eine nächtliche Ausgangssperre verpasst, die vermutlich auch für München gilt. Der Konsum von Alkohol unter freiem Himmel ist verboten. Das trifft vor allem die traurigen vereinzelten Büdchen, die als Ersatz für die Weihnachtsmärkte herhalten müssen. Von Schließung ist allerdings nicht die Rede, auch wenn das konsequent wäre angesichts der Tatsache, dass man den dort erworbenen Glühwein ohnehin nicht vor Ort trinken darf. Auch Bestandteile des Homeschoolings kehren zurück. An den weiterführenden Schulen gibt es Wechselunterricht oder kompletten Distanzunterricht.
ma

 

Samstag, 5. Dezember 2020
Nach einem entspannten Tag machen wir einen kurzen abendlichen Spaziergang im schon in der Winterdämmerung liegenden Nymphenburger Park. Auch hier gibt es – ähnlich wie im Hinterhof des Verwaltungsgebäudes in dem ich arbeite, eine Ersatzinstallation für die massenweise abgeschafften Weihnachtsmärkte. Im Garten der Orangerie wurde eine Bude aufgestellt für Take-Away-Weihnachtsmarktkleinigkeiten inklusive herzhaften Dingen wie Wurstsemmeln. Zur Wahrung der Abstandsregeln ist ab kurz nach dem Eingang ein Rundkurs mit grünen Hütchen gekennzeichnet, in dessen Mitte die beleuchtete aber verwaiste Bude liegt. Der Weg von dort führt dann doch wieder zu einem gemeinsamen Ein- und Ausgang, der recht schmal gehalten ist – wie halt schon seit Jahren. Hier gilt wie an vielen Stellen: Raum wird dann geschaffen, wenn es ohne bauliche oder räumliche Schmerzen möglich ist.
ma

 

Freitag, 27. November 2020
Eine kurze Absprache mit der Verwandtschaft von Außerhalb. Es gibt aktuell eigentlich keine Möglichkeit bei einer Trauerfeier Leute von Auswärts aus mehr als einem Haushalt teilnehmen zu lassen – zumindest, wenn die Anreise lang genug ist um nicht mehr am selben Tag zurück zu kommen. Hotels lassen nur Übernachtungsgäste für unabdingbare Dienstreisen zu. Gaststätten sind ohnehin zu. Ein Teil macht Straßenverkauf auf Verzweiflungsbasis. In einer Wohnung dürfen maximal fünf Personen aus zwei Haushalten anwesend sein. Wenn man sich an diese Regeln hält, wird die Trauerfeier zwangsläufig zu einer rein münchnerischen Angelegenheit.
ma

 

Mittwoch, 25. November 2020
Während des Arbeitstages ändern sich gegen Mittag die Spielregeln. Die Personalabteilung informiert, dass ab sofort am Standort München Maske zu tragen ist, wenn man den Arbeitsplatz verlässt. Das basierte bisher auf Freiwilligkeit. Meetings unterliegen noch restriktiveren Regeln als bisher und sind auch mit Maske durchzuführen. Die Firma folgt damit nur in expliziter Form den Ratschlägen, die der Vermieter schon seit ein paar Tagen an die Zugangstüren zum Gebäude genagelt hat. Der blaue piktografische Maskenhinweis begegnet einem bei jedem Betreten des Hauses.
Die neuen Beschlüsse aus der Politik werden gegen Abend bekannt. Vor Weihnachten werden die privaten Gruppen noch einmal verkleinert um dann zu Jesus Geburtstag noch einmal kurz den Rahmen für das Fest vergrößern zu können. Firmen wird dringend weihnachtliche Betriebsferien ans Herz gelegt. Das große offizielle Motto ist ‚Bleibt zu Hause’. Mich erinnert das ein bisschen an den Beginn der protestantischen Phase bei Henry Rollins mit seiner ‚Stay Home – read a book’-Kampagne.
ma

 

Dienstag, 24. November 2020
Besorgungen rund um Weihnachten und die Adventszeit treiben mich Abends erneut in das Einkaufszentrum in Pasing. Es ist nach 18 Uhr und die Besucherzahlen sind übersichtlich. Ein großer Unterschied zu Samstag und ich stelle mir die Frage, ob Corona hier nicht doch eine Rolle spielt. Es ist die Woche vor dem ersten Advent und trotzdem kann man unter Einhaltung des Abstands gut durch die Mall navigieren.
Die Debatte zwischen Bund und Ländern bezüglich der Regelungen für die kommende Weihnachtszeit werden anscheinend hinter den Kulissen recht vital geführt. Beschlüsse sind noch keine bekannt.
ma

 

Sonntag, 22. November 2020
Sonntag ist bei uns selten der christliche Ruhetag, den die Kirche gerne sehen würde. So auch nicht heute. Wir erledigen parallel liegen gebliebenen Papierkram und essen gemütlich zu Mittag bevor wir uns entschließen, den Rest des Lockdown-Sonntags mit einem Spaziergang zu verbringen. Das Wetter stützt diesen Entschluss vermeintlich. Milde Herbstsonne liegt über den Straßen von Laim und ermuntert uns zur Landpartie. Kurz vor unserem Ziel, dem Ammerseeer Höhenweg ab Schondorf, zieht es zu und wir müssen unseren Spaziergang bei von Wolken gedämpftem Sonnenschein antreten. Der gut einsehbare, schnurgerade Weg gleicht einer Flanierstraße der Städter, allerdings mit einer vertretbaren Spaziergängerdichte. Die einzelnen Grüppchen trennen meist 100 und mehr Meter und man hält sich bei Begegnungen am jeweiligen Rand des breiten Güterwegs. Kurz vor unserem Umkehrpunkt kommen wir an einem weiteren Parkplatz vorbei, der Bewegungshungrigen als Einstieg in den Weg dient. Die Nummerschilder deuten auf den ein- oder anderen Münchner hin, so wie schon an unserem Startpunkt. Die Luft ist klar und der Blick auf die Berge unverstellt. Wir kehren erholt in ein Laim ohne Gaststätten zurück.
ma

 

Samstag, 21. November 2020
Beim Abendspaziergang durch das Viertel stellen wir fest, dass der Metzger am Willibaldplatz einen gekühlten Automaten installiert hat, der Deftiges für den Heißhunger rund um die Uhr bietet. Wir sind uns nicht sicher, ob das ein Ergebnis der Coronakrise ist oder der Apparat schon länger hier steht. Seine Beliebtheit dürfte auf jeden Fall gestiegen sein.
Das lokale Kino – ohnehin schon ein angenehmer Anachronismus im wenig dicht besiedelten Laim – ist auch Opfer des aktuellen Schließungsbeschlusses. Der Ton der entsprechenden Ankündigung in den Schaukästen ist eine Mischung aus Verzweiflung und Resignation, enthält aber auch die Hoffnung im Dezember wieder öffnen zu können. Der Betreiber will offensichtlich nicht aufgeben, muss aber nach jetzigem Stand mit einer Verlängerung des Shutdowns rechnen.
Die SZ berichtet über die Zuspitzung der Krise im medizinischen System in Corona-Hotspot-Gebieten. Angesichts der zunehmenden Fallzahlen auch bei Pflegern und Ärzten in den Krankenhäusern lässt sich angeblich der Betrieb mancherorts nur noch durch Einsatz von infiziertem Personal sicherstellen. Jenseits dessen wird in diesem Jahr ernsthaft ein Böllerverbot für Sylvester erwogen.
ma

 

Freitag, 20. November 2020
Die Veränderungen gegenüber einer Prä-Corona-Normalität erscheinen an diesem Freitag marginal. Es ist ein normaler Bürotag – mit der kleinen Abweichung, dass ich ihn in einem im Normalbetrieb leer stehenden Einzelbüro verbringe. Der Feierabend beginnt mit einer Versorgungsfahrt ins Einkaufszentrum, wie man sie noch aus 2019 kennt – nur dass dort alle maskiert sind. Die Shopping-Center-Gastro hat zu und das eigene Stresslevel ist hoch, weil es in den Läden immer noch genügend Menschen gibt, die das Thema Abstand weniger ernst nehmen als man selbst.
Die Nachrichten berichten stolz von Verteilungsübungen für den möglichen Impfstoff, der inzwischen nicht mehr der Einzige ist. Auch aus den USA kommt eine Erfolgsmeldung. Ich bin mir nicht sicher, ob die gezeigten Bilder eine ernsthafte Übung darstellen, die Erfolgswahrscheinlichkeiten für später hochschrauben soll, oder ob es rein um politische Kommunikation geht in Richtung ‚es tut sich was’.
ma

 

Mittwoch, 18. November 2020
Ein wichtiger Termin für meine Schwiegermutter, die in einem Pflegeheim untergebracht ist. Ein mobiler Zahnarzt kommt mit Anästhesist vor Ort um die verklemmten Zahnprothesen herauszunehmen. Eigentlich hat das Pflegeheim schon seit dem ersten Shutdown im Frühjahr ein Betretungsverbot. Es gibt lediglich Besuchstermine, die in der ehemaligen Cafeteria abgewickelt werden. Das ist tatsächlich der einzige Raum, den Verwandte und Freunde der Bewohner betreten dürfen – nach vorheriger Terminabsprache und limitiert auf eine Stunde. Die beste Ehefrau von allen darf ausnahmsweise zu ihrer Mutter aufs Zimmer. Die Einschätzung bezüglich der Betäubung ist von Seiten der Ärzte durchaus ernst. Daher die Genehmigung. Die Sicherheitsmaßnahmen entsprechen nicht der verbalen Aufrüstung im Vorfeld. Die beste Ehefrau von allen kommt ohne Schutzkleidung und mit ihrer eigenen FFP-2-Maske bis zur Station.
ma

 

Montag, 16. November 2020
Die Woche beginnt mit einem weiteren Tag in meinen Exilbüroräumen. Die Besetzung in der Firma ist vor Ort stark reduziert. Die meisten Teams arbeiten in Wechselbesetzung Homeoffice und Büro um die Dichte der Sitzordnung zu reduzieren und das mögliche Ansteckungspublikum zu halbieren. Das gilt auch für meine Abteilung, die bestenfalls mit 50% besetzt ist.
Die Infektionszahlen gemäß Robert Koch Institut steigen nicht mehr exponentiell, sind aber trotz eines inzwischen fast 14tägigen Lockdowns nach wie vor hoch. Eine Verschärfung der Regeln liegt in der Luft, die auch die Organisation der Trauerfeier beeinträchtigen könnte. Seit letzter Woche ist von einem gefundenen Impfstoff die Rede, der zur Jahreswende in größeren Mengen zur Verfügung stehen könnte. Bis die Kapazitäten für eine Durchimpfung vorliegen, wird es vermutlich ohnehin wieder Sommer werden.
ma

 

Samstag, 14. November 2020
In München wird dieser Samstag ein strahlender Herbsttag werden. Das ist schon am frühen Morgen zu erkennen. Der Arbeitsrhythmus treibt mich früh aus dem Bett. Wir erledigen noch in der Dämmerung die Wocheneinkäufe um einen möglichst leeren Supermarkt vorzufinden und brechen zu einem Spaziergang rund um St. Ottilien auf. Obwohl der Ort vor allem bei gläubigen Senioren beliebt ist und landschaftlich ein bisschen weniger zu bieten hat als andere Ziele in der näheren Umgebung, ziehen wir an Tagen in unprätentiöser Stimmung diesen Ort vor. Der Parkplatz ist mit einer veritablen Anzahl von Autos besetzt. Die Klostergaststätte hat zu. Trotzdem spazieren vergleichsweise viele Leute über das Gelände, achten größtenteils auf Abstand und zeigen sich sogar ein wenig entrüstet, als ich kurz maskenfrei per Handy telefoniere – trotz der gewahrten Distanz, auf die ich im öffentlichen Raum schon seit dem Frühjahr bedacht bin. Dort fällt es mir ohnehin leichter. Die anonyme Begegnung im Freien lädt geradezu dazu ein, Distanz zu wahren. In geschlossenen Räumen, wo genau diese Distanz epidemiologisch wichtiger wäre (wenn man den Spezialisten glauben darf), muss ich mir das Abstandhalten gelegentlich immer noch aktiv vergegenwärtigen. Das Unterschreiten der Distanz im Umgang mit vertrauten Menschen ist zu naheliegend.
ma

 

Freitag, 13. November 2020
Eine Rückkehr zur Normalität vor dem Wochenende. Ich begebe mich ins Büro für einen Arbeitsfreitag ohne besondere Vorkommnisse. Die Infektionszahlen, die seit zwei Monaten wieder prominenter in den Nachrichten aufscheinen, sind auch in den ersten zwei Novemberwochen weiter gestiegen.
ma

 

Donnerstag, 12. November 2020
Das Ergebnis vom dritten Coronatest der besten Ehefrau von allen trifft ein und ist auch negativ. Sie ist aber nicht frei von Erkältungssymptomen und muss deshalb am morgigen Freitag noch nicht wieder in die Arbeit.
Die aktuelle Trauerorganisation wird auch von Corona überschattet. Es wird wahrscheinlich keine Möglichkeit geben eine Trauergesellschaft in einer Gastwirtschaft unterzubringen. Es gibt Größenbegrenzungen bei Trauerfeiern in der offiziellen Aussegnungshalle, ein Schmuckverbot und eine Zeitlimitierung auf 10 Minuten. Auch in der Halle des Bestatters ist die Teilnehmerzahl auf 40 begrenzt.
ma

 

Mittwoch, 11. November 2020
Die Wechselbesetzung im Büro, die das Ansteckungsrisiko senken soll beschert mir einen Home­officetag. Ein Trauerfall unterbricht die Tätigkeit abrupt gegen Mittag. Bei der Verabschiedung in der Klinik werden wir nicht formal nach Coronatests gefragt, aber die Klinik kennt unseren Status aus Vorgesprächen.
ma

 

Dienstag, 10. November 2020
Der zweite Tag im Büro nach meiner Coronaverdachtsabwesenheit. Ich führe das Lüften immer noch lückenhaft durch und sozial ist man im Nebenbüro ohnehin ein wenig außen vor.
ma

 

Montag, 9. November 2020
Negativ getestet und von je her ohne formale Quarantäneanordnung begebe ich mich wieder an meine fußläufig erreichbare Arbeitsstelle. Der Beinaheunfall mit Covid hat meine Haltung zur Arbeitsorganisation im Büro verändert. Obwohl die Besetzung in den Räumen ausgedünnt ist – die Hälfte des Teams ist jeweils wechselnd ins Homeoffice verbannt – beziehe ich einen Nebenraum, der derzeit ungenutzt ist, erhöhe so die Distanz zu den Kollegen und koppele mich ein Stück weit von den Team-aerosolen ab. Das regelmäßige Lüften bei kalter Novemberluft fällt noch schwer, auch weil es nicht in den ‚normalen’ Arbeitsrhythmus eingebaut ist. ‚Im Raum nebenan’ fühlt sich das Arbeiten ein bisschen wie Homeoffice von woanders als Zuhause an. An meinem Platz findet sich ein Gesundheitscarepack meines Arbeitgebers: ein Apfel, eine Packung Vitamin-C-Tee, eine Flasche Desinfektionsmittel und ein Pack Masken. Die beste Ehefrau von allen macht sich des Mittags zu einem weiteren Test auf der Theresienwiese auf. Die Behörde verlangt ein weiteres negatives Ergebnis, bevor ihr erlaubt ist zur Arbeit zurückzukehren. Bis dahin muss sie in einem biopolitischen Transitstatus verharren. Zum einen gibt es ab der Nacht keine formale Quarantäneanordnung des Gesundheitsamts München mehr, andererseits gilt noch ein Betretungsverbot für die Einrichtung. Und das bedeutet erst einmal keine Tätigkeit. ma

 

Sonntag, 8. November 2020
Negativ getestet verbringen wir den Tag trotzdem zu Hause. Die beste Ehefrau von allen hat – zweifacher Negativtestung zum Trotz – noch immer eine Quarantäneanordnung, die erst Montag Nacht endet. Da ohnehin keine Besorgungen außerhalb des Hauses möglich sind, bleiben wir beide in der Wohnung und kümmern uns um Haushalt und bürokratische Erledigungen. Wir entfernen die letzten Hinterlassenschaften des montäglichen Tonerunfalls aus den letzten Ecken des Büros und richten das neue Multifunktionsgerät ein.
Der Skandal der Woche ist eine Anti-Corona-Demo am gestrigen Samstag in Leipzig, die hinsichtlich der Hygienevorschriften aus dem Ruder gelaufen ist. Die Polizei war wohl recht verständnisvoll bei einer Veranstaltung, die unter dem Motto ‚Querdenken’ läuft und damit für Kenner die unappetitliche Assoziation zur Querfront nur schwer verbergen kann und vielleicht auch gar nicht will.
ma

 

Samstag, 7. November 2020
Der erste Tag an dem wir uns recht sicher sein können coronafrei zu sein. Für mich heißt das vor allem, dass ich meine Handlungsfähigkeit außerhalb des Hauses wieder gewonnen habe. Die beste Ehefrau von allen ist noch bis Montag inklusive festgesetzt. Ich mache die große Runde. Erst Besuch in der Klinik, dann Kauf eines neuen Druckers, dann Besuch des elterlichen Haushalts.
Der Zutritt zur Klinik geschieht nur unter strengen Sicherheitsauflagen. Eigentlich hat das Krankenhaus einen Komplettshutdown. Die Klinik ist vor allem eine Geriatrie und damit fast nur von Angehörigen einer Risikogruppe bevölkert. Man lässt mich nur mit frischem Coronatest und Fiebermessung in die Einrichtung. Um das Gebäude am Rand des Dorfs liegt herbstlicher Nebel. In der Einrichtung sind die Lichter gedimmt und die Gänge leer. Die Schwester auf Station nähert sich mir kaum um meinen Zugang zu bestätigen.
ma

 

Freitag, 6. November 2020
Ein weiterer Homeofficetag, der in Unsicherheit beginnt und später dann doch Klärungen mit sich bringt. Die Testergebnisse von der Theresienwiese sind vormittags abrufbar und bringen negative Resultate für uns beide. Wir sind nicht erkrankt und damit in meinem Fall auch wieder außerhalb der Wohnung handlungsfähig. Die beste Ehefrau von allen hat trotzdem eine Quarantäneanordnung bis Montag inklusive und sich bereits für diesen Tag einen weiteren Testtermin auf der Theresienwiese geholt. Es soll kein Zutritt zur Einrichtung gewährt werden, wenn kein ‚frischer‘ Test vorliegt – was immer das heißt.
Anders als bei unseren Tests gibt es in den USA noch keine Ergebnisse. Bidens Vorsprung hat sich noch ein bisschen verfestigt und in einigen Staaten, in denen noch gezählt wird, hat er Trump überholt. Die Zeichen stehen auf Trump als Episode, nicht als Epoche. Eingestehen kann der das aber wie zu erwarten nicht. Er hat jetzt die Platte ‚Wahlbetrug’ in allen Facetten aufgelegt und beginnt mit Klagen auf Bundesstaatsebene.
ma

 

Donnerstag, 5. November 2020
Ein Homeofficetag mit einer langen Videokonferenz. Der Homeservice unseres Supermarkts wird zwar laut Homepage noch angeboten, wurde aber real schon letzte Woche abgekündigt. Die beste Ehefrau von allen hat ein recht ausführliches E-Mail zur Begründung bekommen. Obwohl das wahrscheinlich ein Standardtext ist, spürt man die Frustration des Einzelhändlers bezüglich des Umgangs der Nutzer mit diesem improvisierten Service. Mehrfache Nachbestellungen, Unzufriedenheit mit der Gebühr und Geplänkel, wenn die Mitarbeiter mit dem Paket auch nur 15 Minuten nach der angekündigten Zeit erschienen sind. Kurz: Der Durchschnitt der Leute misst das Ganze offenbar mit den Kriterien eines Standardservices und führt sich dementsprechend auf wie Arschlöcher. Wahrscheinlich weil sie Arschlöcher sind. Die Ergebnisse unserer Tests treffen den ganzen Tag nicht ein, ebenso wenig wie die Ergebnisse der letzten Staaten der US-Wahl. Am Abend gibt es noch kein definitives Ergebnis, auch wenn Biden vorne liegt.
ma

 

Mittwoch, 4. November 2020
Ein weitgehend normaler Homeofficetag, der die formale Quarantäne der besten Ehefrau von allen begleitet. Langsam zeigen unsere Vorräte vom Freitag erste Lücken, aber wir haben entdeckt, dass unser Edeka vorne an der Ecke in diesen besonderen Zeiten einen Heimlieferservice anbietet. Man kann seinen Einkaufszettel per Fax oder E-Mail einreichen und wird Dienstag und Donnerstag beliefert. Die Nutzung soll sich auf Risikopersonen beschränken. Es wirkt alles ein wenig improvisiert und basiert ausschließlich auf Barzahlung (wie soll das unter Berücksichtigung der Abstandsregeln gehen?). Wir bereiten uns mit einer veritablen Einkaufsliste auf eine mögliche Belieferung am morgigen Donnerstag vor. Wir hoffen auch auf Ergebnisse der Tests für diesen Tag.
Wahlergebnisse aus den USA liegen noch immer nicht final vor. Das Rennen ist enger als von den Prognoseinstituten vorhergesagt. Es sind zwar schon viele Staaten ausgezählt, aber insbesondere die mit unklarer Ergebnislage fehlen noch. Ein finales Ergebnis wird nach pessimistischen Schätzungen erst am Freitag vorliegen.
ma

 

Montag, 2. November 2020
Ein weiterer Tag im Homeoffice. Abends verabschiedet sich unser altgedienter Laserdrucker nicht ohne noch einer vollen Ersatztonerkartusche einen Riss zu verpassen. Schwarzer Mikrostaub bedeckt unseren Dielenboden und den Schreibtisch. Es dauert über eine Stunde auch nur die groben Verunreinigungen zu entfernen. Die Lungengängigkeit des Stoffs und der offene Testausgang erzeugen erstmals deutlichen emotionalen Stress in unserer gesundheitsbedingten Gefangenschaft.
ma

 

Sonntag, 1. November 2020
Gespräche mit einem geriatrischen Krankenhaus über einen kritischen Fall in der Verwandtschaft. Auch dort herrscht vollständiges Besuchsverbot wegen der aktuellen Coronalage. In Fällen, die eine Nähe zu palliativen Situationen haben, sind Ausnahmen möglich. Die kann aber bei einem ungeklärten Coronastatus wie meinem auf keinen Fall gewährt werden. Die Ergebnisse des kommenden Tests am Dienstag werden also immer wichtiger.
ma

 

Samstag, 31. Oktober 2020
Ein Wochenendtag in Quarantäne. Innerlich feiern wir unseren zwei Jahre alten Umzug, der uns eine Wohnung mit Ambiente und Auslauf beschert hat. Wir lesen viel, kümmern uns um den Haushalt und nutzen die Streamingdienste. Wir schlafen noch immer getrennt und halten Abstand. Die beste Ehefrau von allen neigt dazu, auch in der Wohnung die Maske zu tragen und hält sich möglichst von mir fern.
ma

 

Freitag, 30. Oktober 2020
Quarantäneunruhe kommt auf. Die beste Ehefrau von allen geht vormittags noch einmal umfangreich Einkaufen – versehen mit einer FFP2-Maske. Noch hat sie ja weder eine formale Quarantäne-Anordnung noch Symptome. Ich bestreite vom Homeoffice aus meinen Arbeitstag.
Am frühen Nachmittag trifft der Anruf vom Gesundheitsamt ein. Nach einem Interview, das sie wahrheitsgetreu bestreitet, wird sie als Kontaktperson der Kategorie I eingestuft. Das bedeutet höheres Infektionsrisiko und mindestens 14 Tage Quarantäne ab Kontakttag. Sie darf ab jetzt offiziell die Wohnung nicht verlassen. Die Anordnung betrifft allerdings nur sie. Ich kann mich – rein rechtlich – frei bewegen und würde erst als Kontaktperson irgendeiner Kategorie gelten, wenn die beste Ehefrau von allen positiv getestet würde. Für die Betroffene – in diesem Fall sie – gibt es im Nachgang des Telefonats lediglich ein karges E-Mail mit einem Merkblatt in Form einer Pdf und einem Termin des Quarantäneendes.
ma

 

Donnerstag, 29. Oktober 2020
Ich informiere meine Abteilungsleiterin über die Situation und schlage Homeoffice vor bis unser viraler Status geklärt ist. Das geht von Seiten meines Arbeitgebers auch in Ordnung. Der Tag beginnt arbeits-technisch ein bisschen holprig. Zu viele Fragen zu unserer konkreten Lebensorganisation im halb-offiziellen Quarantänestatus sind offen und ein unsicheres Gefühl macht sich breit. Die Nähe zur meiner Arbeitsstätte ermöglicht es, dass mir ein zweiter Monitor und mein Headset vorbei gebracht wird. Ich richte mich am Wohnzimmertisch ein. Der bisher sträflich wenig genutzte Raum entwickelt sich zum Einzimmerapartment inklusive Homeoffice. Wir vereinbaren auch Tests für kommenden Dienstag beim Drive-In auf der Theresienwiese.
Gegen Abend wird das Gesundheitsamt aktiv und beginnt Kollegen und Kolleginnen der besten Ehefrau von allen zu befragen und teilweise in offiziell angeordnete Quarantäne zu schicken. Sie erfährt das aber nur über What’s App, fährt selbst aber anscheinend noch immer im Windschatten der Meldeschwäche ihres Arbeitgebers.
ma

 

Mittwoch, 28. Oktober 2020
Wir agieren in einer für uns nach wie vor unveränderten Arbeitswelt. Abends kommt per What’s App die Information, dass just jene Kollegin, mit der die beste Ehefrau von allen sich auf den Weg zum Testen gemacht und im engeren Kontakt gestanden hatte, ein positives Testergebnis erhalten hat. Wir sind beide beunruhigt und beschließen in Ermangelung genauerer Informationen von uns aus erst einmal auf alle Sozialkontakte zu verzichten. Ich ziehe auf die Couch im Wohnzimmer um, für den Fall, dass die beste Ehefrau von allen sich bei der Kollegin angesteckt, das Virus aber noch nicht an mich weiter gereicht hat.
Zeitgleich zeichnet sich ein neuer Lockdown ab 2. November am Horizont ab, der aber noch nicht so genannt wird und auch etwas lockerer ausgestaltet werden soll. Im Kern trifft es wohl die Gastronomie und alle Kulturveranstaltungen. Auch die Größe privater Feiern soll wieder reduziert werden.
ma

 

Dienstag, 27. Oktober 2020
Die regelmäßig prognostizierte zweite Welle und ein Herbst der Pandemierückkehr finden sich zunehmend in den Infektionsstatistiken wieder. Die Zahl der Neuinfektionen ist über den Oktober hinweg stetig gestiegen. Lokale Lockdowns haben einen Flickenteppich von Regelungen erzeugt. Ein Besuch von stationär im Krankenhaus behandelten Angehörigen ist seit Freitag, den 24. Oktober nicht mehr möglich. Persönlich gestaltet sich der Alltag undramatisch mit wenig Außenkontakten. In der Rehabilitationseinrichtung der besten Ehefrau von allen wird wie oft in den letzten Wochen einen Coronatest durchgeführt. Sie hat an diesem Tag ohnehin außergewöhnlich viel Kontakt zu einer Kollegin mit der sie logistische Themen zur Arbeit abspricht.
ma

 

Dienstag, 30. Juni 2020
In Bayern werden maskenfreie Kulturveranstaltungen demnächst wieder zugelassen. Sie sollen dann funktionieren wie ein Kirchen- oder Gaststättenbesuch, d.h. der Weg zum Platz ist nach wie vor mit Maske zurückzulegen. Am abstandsgeregelten Sitz kann auch der Brillenträger ohne beschlagene Augengläser zuschauen und zuhören.
ma

 

Montag, 29. Juni 2020
Auf dem Weg zur Arbeit entdecke ich ein neues Plakat an der Litfaßsäule. Es ist die erste neue Plakatierung seit langem. Mit dem, was schon jetzt in der Rückschau unter dem Begriff Shutdown läuft, ist die betriebsame Werbeaktivität für Veranstaltungen jedweder Art im öffentlichen Raum quasi über Nacht zusammengebrochen. Stromkästen und Werbesäulen kündeten von Konzerten, Lesungen, Vorträgen oder Ausstellungen, die größtenteils nicht stattgefunden haben und bildeten über Monate ein unfreiwilliges Dokument der Planung von Aktivitäten in einer Stadt ohne Pandemie. Jetzt eine Neuankündigung eines Filmstarts. Die beginnende Kinoverwertung von 'Harriet – Der Weg in die Freiheit', der hier jetzt beworben wird, ist zwar nicht der erste, aber wohl in der ersten Kohorte, die diesen Schritt unter erschwerten kommerziellen Bedingungen riskieren. Die Plakate direkt am Kino im Viertel haben letzte Woche noch eher auf Titel verwiesen, deren Starttermin Corona zum Opfer gefallen sind und jetzt ihre Kinospielzeit aus April bis Juni nachholen.
ma

 

Donnerstag, 25. Juni 2020
Es gibt Signale in unserem Umfeld, die darauf hindeuten, dass die Vorbereitungen für eine zweite Welle von Covid-19-Erkrankungen bereits laufen. Das geschieht anscheinend aber nicht besonders öffentlichkeitswirksam. Es ist keine Information aus den Nachrichten, sondern eine Auskunft der örtlichen Uniklinik, die ihre Entgiftungsplätze für Alkoholiker einschränkt um Kapazität für mögliche Covid-Fälle zu haben. Aktuell sind die Zahlen in München so niedrig, wie schon seit Wochen nicht mehr.
An den Maskeneinsatz im Einzelhandel haben wir uns schon gewöhnt und betreiben Cocooning mit verminderter Intensität: die Wohnung soll endlich werden, was sie schon immer sein sollte. Ein aufgeräumter Ort, an dem die Sachen ihren Platz haben – zumindest die, die man wirklich für ein erfülltes Leben braucht.
ma

 

Mittwoch, 24. Juni 2020
Einzelne Infektionsherde tauchen die Republik in flackerndes Licht. Der beim Fleischverarbeiter Tönnies in der Nähe von Gütersloh wirft ein Bild auf Marktwirtschaft im Normalbetrieb. In der Großschlachterei werden über 1.500 Positivtestungen auf 7.000 Mitarbeiter festgestellt. Katalysator für diese Entwicklung ist nicht einmal eine besondere Abweichung von dem, was sonst auch in der Fleischindustrie geschieht. Über Subunternehmer zu Billiglöhnen Beschäftigte aus Osteuropa, untergebracht in Massenunterkünften und im Betrieb ohne Einhaltung von Mindestabständen und Masken im Einsatz.
ma

 

Sonntag, 21. Juni 2020
In der Nacht von Samstag auf Sonntag wird unpolitisch die Stuttgarter Innenstadt zusammengehauen. Die Täter sind größtenteils unter dreißig und fast ausschließlich männlich. Die verbale Verteidigung des Rechtstaats fällt erwartungsgemäß lautstark und markig aus. Die Empörung kommt nicht an das Rauschen im Blätterwald heran, das die Proteste zum G20 Gipfel ausgelöst haben. Das mag auch daran liegen, dass große Einigkeit herrscht, dass hier ein politischer Hintergrund fehlt. Nur am Rande tauchen soziologische Begründungsfiguren auf, die eine coronafrustrierte Generation unterstellt.
ma

 

Samstag, 13. Juni 2020
Die Grenze zum Nachbarland Polen wird geöffnet. Die Offiziellen in den Grenzstädten und die Schau-lustigen an den Übergängen wirken sichtlich erfreut, aber nicht unbedingt um Coronaregeln bemüht. Die Sehnsucht nach weiterer Normalisierung im Sinne von weitgehender Annäherung an den Zustand vor der Ergreifung der Maßnahmen gegen Corona scheint groß. Thüringen hebt die Kontaktbeschränkungen auf und setzt auf Empfehlungen, statt auf Verordnungen.
Es wirkt als würde die Bundesrepublik einen Zustand anstreben, in dem ab Juli die Faustregel ‚wie vorher’, nur drinnen mit Maske und Abstand und ohne Kultur, Nachtleben und Großveranstaltungen’ gilt. Wenn das die Spielregeln für den Rest von 2020 sind, werden Kohorten von abseitigen Formaten und Orten verschwinden. Eine Gesellschaft, die das Misstrauen gegenüber der persönlichen Begegnung ohnehin noch nicht wieder ganz abgelegt hat trifft dann auf eine brave Auswahl dessen, was man gemeinhin unter Kultur zusammenfasst. Aber vielleicht erregt dieser versehentliche postkatastrophale Biedermeier den Anstoß einer neuen Generation.
ma

 

Dienstag, 9. Juni 2020
Die WHO meldet einen starken Anstieg der Neuinfektionen weltweit. Die Sehnsucht nach Normalität scheint indes insbesondere in den Industrie- und Schwellenländern groß. Auch Regionen mit nach wie vor hohem Krankheits- und Neuinfektionsstand fahren ihre Regelungen für den Infektionsschutz zurück. Hier scheint es eine Korrelation mit dem populistischen Charakter der jeweiligen Regierung zu geben.
ma

 

Sonntag, 7. Juni 2020
Das Wetter lädt nicht unbedingt zu Aktivitäten im Freien ein. Es hat sich seit gestern Abend einge­regnet, die Angst vor einer Dürre, die im Frühling kurz aufgekommen war, sollte sich erledigt ha­ben – das ist zumindest das subjektive Gefühl. Die Zahl der Neuinfektionen mit dem Corona-Virus in Deutschland geht zurück bzw. verharrt auf niedrigem Niveau. Die Debatten drehen sich vor allem um weitere Lockerungen und die Frage nach einer sogenannten zweiten Welle, d.h. eines ggf. breiteren Wiederanstiegs der Fallzahlen im Herbst.
Ein Corona-Ausbruch in einem Hochhaus in Göttingen erregt die Gemüter. Ein dort aufgetretenes Infektionscluster wird auf größere Familienfeiern zurückgeführt, auf denen angeblich Hygieneregeln unterlaufen wurden. Das führte zu erneuten Schulschließungen in der Stadt. Der hohe Migrationsanteil im Wohnkomplex motivierte wohl einen rassistisch grundierten Shitstorm gegen die Bewohner.
Der gewaltsame Tod des Amerikaners George Floyd bei seiner Festnahme in Minneapolis ist inzwi­schen Anlass zu weltweiten antirassistischen Kundgebungen – auch in diversen Großstädten in Deutschland. Der Königsplatz in München war nach Angaben von Augenzeugen und Medien gut be­sucht. Masken waren wohl Standardaccessoire, die Sicherheitsabstände wohl eher nicht. Die Er­mahnungen aus der Politik haben eine sanfte Tonlage. Anders als rund um Demonstrationen ange­sichts der G7-Treffen scheint es sich hier um ‚gute’ Demonstranten zu handeln.
ma

 

Donnerstag, 4. Juni 2020
In Minneapolis geschieht am 25. Mai auf offener Straße ein Mord an einem farbigen US-Bürger durch die Hand eines weißen Polizisten, dem drei weitere weiße Polizisten interessiert und ohne einzugreifen zusehen. Seither brennt es in den USA landesweit und die Situation verschärft sich durch die Androhung des Präsidenten, gegen die eigene Bevölkerung militärisch vorgehen zu wollen. Der Wirtschaftskrieg der USA gegen China eskaliert bedrohlich. Weit über 30 Millionen US-Bürger haben coronabedingt ihre Jobs verloren. Die USA mit einem Possenreißer im Weißen Haus, dem, so scheint es, allmählich sämtliche Sicherungen durchbrennen, sind angeschlagen. Die USA mit einer clownesken Figur als Oberbefehlshaber der mächtigsten Streitmacht der Welt, der Herr über ca. 6000 atomare Sprengköpfe ist, taumeln.
In Deutschland wurde ein Konjunkturpaket in Höhe von 130 Milliarden Euro geschnürt, von dem sich Finanzminister Scholz den großen ‚Wumms’ für die deutsche Wirtschaft verspricht und das lt. Frau Baerbock von Bündis90/DieGrünen nicht ganz so schlimm ausgefallen ist, wie man das befürchtet hat.
Beim Thema Schulen scheint man noch immer auf Sicht zu fahren. Nach den Pfingstferien soll es in Bayern bis zu den Sommerferien alternierend zwischen Präsenz- und Digitalunterricht weitergehen. Was danach passiert, steht noch in den Sternen. Ähnlich vage sind die Aussichten im Kulturbereich. Zugesagte Unterstützungen erreichen die Adressaten auf eher holprigen Pfaden und ansonsten überlässt man die Angelegenheit der Kreativität der Betroffenen, bis sich irgendwann, irgendwie außerhalb der eigenen vier Wände mal wieder etwas tut. Digitale Alternativen, das hat uns Corona bisher eindrucksvoll vor Augen geführt, sind hier, wie dort ein eher lausiger Ersatz für begehbare, öffentliche Territorien, die sowohl für die Wissensvermittlung als auch für die Kunst unverzichtbar sind.
Hqd

 

Mittwoch, 3. Juni 2020
Die ARD berichtet Ende Mai, dass das City-Hostel-Berlin die Pforten geschlossen und den Betrieb ein-gestellt hat. Bedauerlicherweise. Ich hatte noch vor Corona mit dem Gedanken gespielt, dort vielleicht mal eine Nacht zu verbringen, falls das für meinen Geldbeutel erschwinglich gewesen wäre. Was dieses Hostel von anderen unterscheidet, ist seine Lage. Es befindet sich auf dem Missionsgelände der nordkoreanischen Botschaft. Ein Botschaftgelände ist ja nun rein rechtlich schon lange kein exterritoriales Gebiet mehr und ich vermute, dass deshalb das City-Hostel denselben Corona-Einschränkungen wie alle anderen Etablissements im Berliner Hotel- und Gaststättengewerbe Rechnung zu tragen hatte. Aber jetzt, nach Lockerung der Reiseeinschränkungen, wäre wohl auch ein Trip auf das völkerrechtlich geschützte Areal von Nordkorea wieder möglich gewesen. Und jetzt das. Geschlossen. Vorbei die Möglichkeit, auch in Corona-Zeiten mal eine abenteuerliche Reise in ein Territorium zu machen, auf dem zwar deutsches Recht gilt, zu dem aber die deutsche Obrigkeit keinen Zugang hat. Wäre sicher interessant gewesen.
Dafür hat seit heute das Land, wo die Zitronen blühen wieder seine Pforten geöffnet. Bella Italia lädt die Welt wieder ein, sich an ihren Gestaden zu sonnen. Rom, Venedig, Florenz, Napoli. Gut, die mediterrane Lebenslust hat in Corona ihre Grenzen. Abstandsregeln, Hygienevorschriften, Bußgelder bei Verstößen. Und auch die Anreise ist nicht leicht. Insbesondere für den Urlauber aus Deutschland, denn der muss in der Regel erst einmal durch Österreich. Und die öffnen ihre Grenzen zwar erst Mitte Juni, erlauben aber schon mal den touristischen Transitverkehr zwischen Deutschland und Italien unter der Auflage, dass absolut nonstop durchgefahren wird. Keinen Kaffee an einer Raststätte. Keine Zigarettenpause. Vor allem aber auch keine Pinkelpause, die spätestens dann alternativlos wird, wenn es richtig pressiert, und die dann ziemlich teuer werden kann. Von Bußgeldern bis zu 1450.- Euro ist die Rede. Also das Budget für zwei Wochen Cesenatico. So eine Reise fordert in Corona-Zeiten, worin wir uns ja nach wie vor befinden, eine komplexere Logistik, die dem an die Annehmlichkeiten des Pauschaltourismus gewöhnten Ferienreisenden nicht leicht fallen wird. Aber irgendwann wird es wieder so schön, wie es früher war. Die Lufthansa hat etliche Milliarden bekommen. Ebenso TUI. Und bald wird man wieder stundenlang irgendwohin fliegen können, um dann am Abend der Ankunft unter Palmen am Meer im Schnitzelhaus dieses wunderbare Wiener Schnitzel (Kalb) zu verköstigen, das auf der Welt seinesgleichen sucht. Und dank dem man sich auch in der Ferne gleich wieder wie zu Hause fühlt.
Hqd

 

Montag, 1. Juni 2020
Ich muss mir eingestehen, dass nach einem Vierteljahr meine Aufnahmefähigkeit betreffs Corona-Informationen, insbesondere, wenn sie nicht meinen persönlichen Lebensbereich betreffen, an Grenzen stößt. Fast alle Meldungen in den Nachrichtenportalen scheinen coronabezogen zu sein. Unmöglich, all das noch zu lesen. Ein gewisser Gewöhnungseffekt macht sich breit. Dabei wäre gerade jetzt, wo es um die Ankurbelung der Konjunktur geht, größtmögliche Aufmerksamkeit geboten, weil nun mehr und mehr die damit befassten Akteure ihre Vorstellungen auf den Tisch legen. Und wenn da auch nicht jede Forderung eins zu eins umgesetzt werden wird, so sind doch die Positionen, die jetzt sichtbar werden, in ihrem Einflusspotential nicht zu unterschätzen. So erstellte lt. einer Meldung vom 1. Juni (Bayern2) etwa der Deutsche Industrie- und Handelskammertag einen Forderungskatalog an die Bundesregierung, in dem es u.a. heißt, die Beteiligung der Bürger bei großen Projekten müsse gestrafft werden, ebenso die Umweltprüfungen. Es braucht nicht viel Fantasie, um die euphemistisch verpackte Botschaft, die sich in dieser Forderung versteckt, zu dechiffrieren: demokratische Verfahren und Umweltschutz sollten nach Meinung des DIHK beim Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft erstmal nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Hqd

 

Samstag 30. Mai 2020
Entgegen der Wettervorhersage zeigt sich der Himmel Vormittags weitgehend wolkenfrei. Das ermög­licht uns einen ausgiebigen Spaziergang auf verschlungenen Wegen im Fünf-Seen-Land. Das Tragen von Masken in öffentlich zugänglichen Innenräumen hat sich schon seit Wochen durchgesetzt. Beim Lebensmitteleinkauf finden sich keine Rebellen ‚oben ohne’.
Glaubt man Medienberichten, nimmt die Katastrophe vor allem in den USA weitgehend ungehindert ihren Lauf. Rückläufigen Zahlen in Europa stehen fürchterlich hohe Todes- und Infektionszahlen in Amerika gegenüber. Trump beendet nach eigener Aussage die Zusammenarbeit mit der WHO. Einen Schuldigen für die dramatische Lage muss es jenseits der aktuellen Administration geben, wenn die Wiederwahl allerhöchste Priorität hat. Medial ist die kaum geminderte Wucht der Pandemie aktuell ohnehin in den Hintergrund getreten. Eine gewalttätige Verhaftung eines Afroamerikaners mit Todes­folge in Minneapolis führte zu umfangreichen Ausschreitungen, die ein deutliches Licht auf den realen Stand der formalen Rechtsgleichheit im Land der Freien werfen.
ma

 

Dienstag, 26. Mai
Nach ein paar Tagen Enthaltsamkeit, in denen ich mich mehr um mein persönliches Management der Corona-Krise als um deren mediale Aufarbeitung gekümmert habe, werfe ich heute morgen beim Frühstückskaffee dann doch wieder mal einen Blick auf den täglichen Live-Blog der ARD und lese dort als erste Meldung, dass lt. dpa und ‚Handelsblatt’ Wirtschaftspolitiker der Union in einem ‚Wachstumsprogramm für Deutschland’ u.a. die Absenkung des Mindestlohns und die Erhöhung der Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden empfehlen. Was eine Stagnation (und faktische Absenkung) des Lohnniveaus ganz generell erwarten lässt. Die Roadmap zurück zur wirtschaftlichen Normalität ist auf dem Tisch. Das war vorhersehbar und überrascht nur in seiner etwas direkten Art. So eine Vorgehensweise glaubt man sich momentan noch leisten zu können, wo doch noch immer (mehr oder weniger) solidarisch an der Corona-Front gekämpft wird und die Gedanken der Menschen noch immer voller Anerkennung den Heldinnen und Helden des Pandemie-Alltags zugewandt sind. Ok, die Bilder von applaudierenden Bewunderern und Musik-Ständchen vor Pflegeheimen sind ein bisschen seltener geworden. Aber trotz-dem sind die Corona-Held*innen nach wie vor ein ergiebiges Thema in den Medien. ‚Heldenprämien’ für Beschäftigte in systemrelevanten Berufen, Einkaufsbegünstigungen für Held*innen bei Rewe. Und auf Bayern 1 gibt es sogar Heldenwochen, in denen besonders verdienstvollen Held*innen Wohlfühlwochenenden versprochen werden. Gemeint sind u.a. Pfleger*innen, Paketzuzsteller*innen, Verkäufer*innen, Lagerkräfte. Und all diesen Menschen, die bisher das Alltagsleben zumindest einigermaßen aufrecht erhalten haben, soll nun die Möglichkeit gegeben werden, von einfachen Held*innen in den Rang von Superheld*innen aufzusteigen, indem man ihnen schon mal nahebringt, dass sie zukünftig für ihre eh schon lausig bezahlte Arbeit noch weniger Geld bekommen werden. Im wahren Hollywood-Leben verrichten Super-Held*innen ihre Heldentaten natürlich ohne einen Lohn zu erwarten. Soweit muss man hier und jetzt nicht gehen. Es gibt ja auch noch die 1-Euro Jobs, in denen man sich heldenhaft beweisen kann und statt einem angemessenen Lohn etwas Applaus bekommt. Es verwundert nicht, dass ausgerechnet jetzt, wo es darum geht, die Wirtschaft wieder hochzufahren, eine fast vergessene Stimme aus den Tiefen einer niedersächsischen Höhle zu vernehmen ist. Es ist die Stimme des immer noch führenden Fachmanns, was die Entwertung von Arbeit anbelangt: Gerhard ‚Gedöns’ Schröder, der in einem Podcast seinen Beitrag leisten will zur Wiedergenesung der deutschen Wirtschaft. Eine Flasche Bier für den Mann, for old times‘ sake.
Hqd

 

Sonntag 24. Mai 2020
Die Temperaturen haben sich noch nicht wieder von den gestrigen Regengewittern erholt. Wir gehen trotzdem ein bisschen auf dem Land spazieren. Spaßeshalber recherchieren wir ob unsere Lieblingswirtschaft ihren Betrieb wieder aufgenommen hat. Der dortige Biergarten war im Sommer immer Anziehungspunkt für die Gegend und würde einen Betrieb unter Corona-Bedingungen zulassen. Das ist auch der Fall, nur die Betriebsbedingungen haben sich in der früher recht unprätentiösen Wirtschaft doch deutlich geändert. Telefonische Reservierungen mit Kontaktdaten sind unabdingbar. Der Tisch wird ab Eingang des Biergartens zugewiesen. Mindestabstand von 1,5 Meter und Maskenpflicht auf dem gesamten Geländer außer am Tisch. Es dürfen sich maximal zwei Haushalte einen Tisch teilen. Wir sind uns nicht sicher ob uns das unprätentiös genug ist und sehen vorerst von einem Reservierungsversuch ab.
ma

 

Samstag, 23. Mai 2020
Wolken ziehen übers Land und werfen ihre Fracht in stürmischer Atmosphäre ab. Das spült die Oberbayerischen und Allgäuer Corona-Proteste hinweg.
ma

 

Freitag, 22. Mai 2020
Es ist kurz nach zwölf Uhr mittags und ich bin auf dem Weg rauf zur Post an der Tegernseer Landstraße, um dort einen Brief aufzugeben, bei dem ich mir nicht sicher bin, ob er vom Gewicht her noch als Großbrief durchgeht oder schon als Maxi-Brief frankiert werden muss. Als ich durch die Schiebetür in die Schalterhalle eintreten will, werde ich von einem jungen Security-Mann gestoppt. Ich bräuchte eine Maske, sagt er mir. Ich deute auf mein Halstuch, das ich mir über Nase und Mund gezogen habe und das, wo immer ich die letzten Wochen maskenpflichtiges Terrain betreten habe, als Mund-Nasenschutz akzeptiert wurde. Nicht hier bei der Post, werde ich aufgeklärt. Ich bräuchte eine reguläre Maske wie die seine. Sie sieht aus wie das Modell, das auch in Arztpraxen verwendet wird und von dem mir meine Tochter letzthin eine mitgebracht hat. Ich verzichte auf sinnlosen Protest und mache ich auf den Rückweg, hole die Maske und warte auf den nächsten Bus rauf zur Tegernseer. Gerade als ich in den Gang zur Schalterhalle trete, sehe ich, wie sich dort langsam ein Rollgitter hernieder senkt. Ausgestattet mit ordentlicher Maske frage ich bei dem jungen Security-Mitarbeiter nach, ob ich denn nicht wenigstens noch schnell diesen einen Brief wiegen lassen könnte, damit ich weiß, wie viel ... Nein, sagt mir der junge Mann ziemlich ungehalten, kein Einlass mehr. Es ist 13 Uhr und Mittagspause. Ich kann mich nicht erinnern, dass hier vor Corona das ‚Postamt’ über Mittag geschlossen wurde. Ich bin mir sicher, dass die Postler hier rollierend Mittag gemacht haben und durchgängig immer ein paar Schalter besetzt blieben. Ich nehme den nächsten Bus und kaufe auf dem Rückweg im Supermarkt noch einen Bund Suppengrün. Und lege bei der Gelegenheit meinen Brief auf die Gemüsewaage und sehe, dass er ca. 450 Gramm wiegt und mithin noch in der billigeren Großbriefvariante verschickt werden kann. Zu Hause mache ich mir jetzt erstmal was zu essen. Kurz nach drei mache ich mich ein drittes Mal auf den Weg und sehe eine Menschenschlange von 50-60 Metern Länge aus dem ‚Postamt’ herausquellen, die dann mit einem scharfen Rechtsknick bis zu den Treppen der U-Bahn-Station reicht. Geduldig stehen die Menschen und warten. Ich hole mir am Briefmarkenautomaten die passende Marke und schmeiße meinen Brief in den Briefkasten. Von der Bushaltestelle gegenüber sehe ich, dass sich die Menschenschlange kaum bewegt. Die Menschen, im Freien noch teilweise ohne Maske, wirken stoisch, als habe man sich bereits an derartige Zustände gewöhnt. Was soll man auch machen? Wenn man ein Paket abholen will oder ein Einschreiben aufgeben muss, hat man gar keine andere Wahl, als zu warten. Und ich denke mal, solche Bilder werden auch nach Corona normal bleiben. Die Deutsche Post AG wird sich diese Chance nicht entgehen lassen, ohne öffentlichen Protest die Profitrate weiter zu steigern, indem sie Kosten senkt durch noch mehr Auslagerungen an Sub-Unternehmer und ineffizient ausgestattete Filialen in Bäckereien, Shisha-Bars und Schreibwarenläden, Einrichten von schwer erreichbaren Paketstationen und durch einen deutlich erhöhten Anteil an digitaler Eigenleistung auch für den Privatkunden. Die Service-Qualität wird sich im privaten Bereich noch weiter vermindern, was BlackRock Inc. als Großaktionär wenig interessieren dürfte, solange die Rendite im Geschäftskundenbereich stimmt. Und dank Corona boomt der Versandhandel und das wird wohl auch nach Ende der Maskenpflicht so bleiben.
Hqd

Die Erschütterung ist groß, denn ‚wir’ haben ‚unseren’ Vatertag verloren. Soll heißen: der Teil der Bevölkerung, der sich als Mann definiert hat dieses Jahr keine Möglichkeit sich zwecks Alkoholkonsum zu haushaltsübergreifenden Kleingruppen zusammenzurotten. Auf die Besorgnis im Vorfeld folgt die mediale Entwarnung am gestrigen Abend. Der Drang zum Ausflug ins Grüne bei bestem Wetter scheint groß gewesen zu sein, die ohnehin regional unterschiedlichen Regelungen wurden mehr schlecht als recht eingehalten, echte Abstandsverletzende Bollerwagenzusammenrottungen schienen die Ausnahme gewesen zu sein.
ma

 

Montag, 18. Mai 2020
Besorgungen, die der Auskunft eines Fachhändlers bedürfen, treiben mich in die Stadt. Es ist das erste Mal seit zweieinhalb Monaten, dass ich das Gebiet innerhalb des mittleren Rings bereise oder ein öffentliches Verkehrsmittel benutze. Es ist ein blendender Tag. Das Wetter hat sich über das Wochen-ende erholt und tut jetzt wieder so, als sei es ernst mit dem Klimawandel. Das passt gut zum Startschuss im Biergartenbetrieb, der zum heutigen Tag abgegeben wurde. Die Gehsteigstelltischchen der Gastronomen, die den Betrieb wieder aufgenommen haben, werden jedenfalls schon fleißig genutzt. Die Atmosphäre ist insgesamt recht entspannt bei hoher Vermummungspräsenz. Ansonsten tut die angeblich so beschleunigte späte Moderne kaum ihr Werk. München sieht noch so aus wie vor dem Lockdown obwohl man ‚irgendwie’ etwas anderes erwartet. Nur die Eingangshalle vom Hauptbahnhof wurde im Rahmen des Neubaus inzwischen abgerissen und hat einer riesigen Baugrube Platz gemacht. Bauarbeiten kann man anscheinend corona-neutral und mit Abstandsregel durchführen.
Widerwillig steuere ich auf den Laden zu. Dort ist die Anzahl der Kunden auf drei beschränkt und man bedeutet mir verbal und mit einer Absperrung hinter der Eingangstüre, dass die Zahl bereits erreicht ist. Immerhin bin ich der einzige der wartet. Das hat sich geändert als ich den Laden mit meinen Besorgungen verlasse, drei Paare stehen vor der Tür und freuen sich mit mir über meinen Einkaufserfolg. Ich bin tatsächlich froh draußen zu sein. ‚Sich mal umschauen’ im Sinne von Shopping als Zweck an sich liegt mir ohnehin nicht. Mein Faible fürs Einkaufen ist seit meinen 20ern immer mehr zurückgegangen und das, obwohl der Fokus bei Themen jenseits der Notwendigkeit von je her auf Buch- und Plattenläden lag. Corona steigert meinen Widerwillen eher noch. Das könnte zu einem echten Post-Shopping-Livestyle führen. Zumindest physisch.
ma

 

Samstag, 16. Mai 2020
Neues aus der Reihe ‚Bestellt und nicht abgeholt’: Laut einem Bericht des Deutschlandfunks stapeln sich in der Ukraine mittlerweile die von Leihmüttern ausgetragenen Babys, die die Auftraggeber aus aller Welt aufgrund der Corona-Reisebeschränkungen nicht abholen können. Die Ukraine ist eines der wenigen Länder weltweit, in der kommerzielle Leihmutterschaften erlaubt sind. Und Stand heute war­ten dort über 100 neugeborene Babys auf ihre Abholung. Und es werden täglich mehr. Eines der Un­ternehmen, die sich dieses Geschäftsmodell auf die Fahnen geschrieben haben, nennt sich BioTexCom – ‚Center for human reproductions’ und versichert in einer Art Werbe-Video, in dem reihenweise Baby­betten dicht an dicht in einem großen Saal zu sehen sind, dass die Säuglinge hier professionell be­treut, gewickelt und gewaschen würden. Also für alles gesorgt, was so ein Kind braucht, dass es von der ersten Sekunde an weiß, auf was für einer Scheißwelt es hier gelandet ist. Das bisschen Nestwär­me, Körperkontakt, vertraute Stimmen, Zärtlichkeiten und ganz viel Zeit zum Aufbau eines Urvertrau­ens – geschenkt. Aber für die Eltern in spe, darunter auch viele aus Deutschland, gibt es Video-Schal­ten über das Internet, die so ‚ihre’ Kinder wenigstens kurz sehen könnten. So schwangerschaftslose Neu-Eltern brauchen das ja auch, damit sich ihre Hormonlagen schon mal ausrichten können an den großen Aufgaben, die da auf sie zu kommen. (Es sei denn, dass das Kind behindert ist und deshalb unter Nutzung aller rechtlicher Möglichkeiten eine Übernahme desselben abgelehnt wird.) Kein Tag ohne einen neuen Wahnsinn, der da dank Corona aus den Untiefen einer Normalität gespült wird, von der ich mir allmählich nicht mehr so sicher bin, ob ich sie tatsächlich wieder zurück haben will. Nicht so eine, jedenfalls.
Hqd

Die samstäglichen Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen verstetigen sich. Noch ist alles dabei. Von Nazis, Impfgegnern, Verschwörungstheoretikern, Verteidigern der Grundrechte bis zu Lin­ken. Vereinzelt regt sich schon innerer Widerstand gegen diese Bandbreite. Die Politik hat vor allem Angst vor der Entstehung einer Art neuer Pegida.
ma

 

Freitag, 15. Mai 2020
Die Eisheiligen fegen durchs Land und bringen seit Tagen eine gesunde Grundkühle und Regen mit. Glaubt man den Meinungsumfragen und den Medien, die über sie berichten, hat sich auch die Liebe der Deutschen zu den Maßnahmen abgekühlt. Die Zustimmung ist zwar nicht im freien Fall, sinkt aber. Vor allem der Lockdown des eigenen Soziallebens wird den Erhebungen zufolge zunehmend unterlaufen.
ma

 

Dienstag, 12. Mai 2020
Langsam entwickelt sich das Bedürfnis mal wieder in die Stadt zu fahren. Nicht unbedingt die klassische ladenverseuchte Innenstadt mit ihrer Fußgängerzone, sondern gegebenenfalls eines der Viertel drumherum. Schlendern an einem Frühlingssamstag um die Atmosphäre aufzunehmen, irgendwo ein Eis zu kaufen und zu sehen wo gerade Angriffe gegen den Altbaubestand geführt werden. An sich stünde ja keine Verordnung mehr gegen so ein Vorhaben, nur muss ich feststellen, dass sich mein Verhältnis zum ÖPNV in den letzten zwei Monaten gewandelt hat. Ich habe mich nicht ungern in Busse und Bahnen gesetzt um meine innerstädtischen Ziele zu erreichen – zumindest, wenn das jeweilige Gefährt nicht hoffnungslos überfüllt war. Jetzt empfinde ich eine gewisse Scheu und mir fallen die ablehnenden Kommentare aus dem Bekanntenkreis aus alter Zeit wieder ein. Dort wurde der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel schon früher mit einer Mischung aus Klassismus und Infektionsbedenken begegnet. Ich fürchte, dass eine vermehrte Rückkehr zum Individualverkehr eine der Langzeitfolgen der Virus sein könnte – auch bei mir selbst.
ma

 

Montag, 11. Mai 2020
Der Kreis Coesfeld in Nordrhein-Westfalen hat die Notbremse gezogen. Dort hätte ab heute das Leben wieder ein Stückchen weit in Gang kommen sollen. Alles für mindestens mal eine weitere Woche ab-gesagt. Gastronomie, Geschäfte und Dienstleister bleiben geschlossen bei laufenden Kosten. Schuld daran, so lese ich auf der ARD-Seite, sind die katastrophalen Hygiene- und Arbeitsbedingungen bei ‚West-fleisch’, wo sich inzwischen ca. 260 Beschäftigte eines Sub-Unternehmers, an den die Produktion ausgelagert war, mit dem Corona-Virus infiziert haben. In diesem Artikel wird der Pfarrer Peter Kossen zitiert, der meint, dass die Ansteckungen vorhersehbar gewesen seien, weil die zumeist osteuropäischen Arbeitnehmer ‚massiv in ihrer Arbeit ausgebeutet’ würden, sich bis zum Umfallen ab placken und nach Feierabend ‚oft sehr prekär untergebracht (sind) in Sammelunterkünften, in verschimmelten Zimmern. Da kann von Abstandsregeln keine Rede sein, auch nicht von Hygiene.’ Laut Deutschem Gewerkschaftsbund gibt es Berichte, dass auch erkrankte Arbeitnehmer körperliche Schwerstarbeit verrichten mussten. Und all das in der Regel für den Mindestlohn von Euro 9,35 brutto die Stunde. Deutschland 2020. In diesem Zusammenhang wäre es interessant zu erfahren, wie es eigentlich in anderen Bereichen der Lebensmittelproduktion so um den Schutz der Arbeiter*innen bestellt ist. Zum Beispiel bei der Spargelernte, wo die meist osteuropäischen Erntehelfer vermutlich auch nicht in Einzelzimmern untergebracht sind.
Hqd

 

Sonntag, 10. Mai 2020
Die Corona-Krise wirkt wie ein Generator, der ständig neue Wortkreationen und Begriffsinhalte in den alltäglichen Sprachgebrauch spült. Letzte Woche war das zweifellos die ‚Notbremse’, die im Corona-Kontext die lokale Rücknahme der Lockerungen bei neuerlicher Gefahrenlage beschreibt. Nun wirken die Corona-Maßnahmen insgesamt trotz einiger bedenklichen Einschränkungen definitiv auch kathartisch, z.B. was Umweltbelastungen anbelangt. Und im Idealfall könnte sich die ‚Notbremse’ in ähnlicher Weise nun auch auf anderen Problemfeldern als nützlich erweisen. Zum Beispiel bezüglich der Ar-beitsbedingungen in der industriellen Fleischverarbeitung. Oder endlich auch bei der Durchsetzung von rechtsverbindlichen Standards in Alten- und Pflegeheimen sowie in Asylunterkünften. Mal sehen, was die ‚Notbremse’ noch so alles ans Licht der Öffentlichkeit befördert und welche praktischen Konsequenzen daraus gezogen werden. Vor allem dann, wenn eine ‚Notbremse’ nicht punktuell greift, sondern zu allgemeinen Maßnahmen in einer ganzen Region führt.
Hqd

Wochenende – Demozeit. Im Anschluss an die erste Akutphase formiert sich anscheinend langsam eine breite Gegnerschaft gegenüber den Corona-Maßnahmen. Zumindest berichten die Nachrichten von Demonstrationen in mehreren Städten (je nach Provenienz der Teilnehmer auch unter Missachtung der Abstandsregel). Auch der juristische Klageweg wird offensichtlich mehr und mehr beschritten. Es ist zwar nur schwer einzuschätzen wie repräsentativ die paar 1.000 Menschen auf den öffentlichen Plätzen der diversen Städte nun letztlich sind, aber auch im Alltag scheint sich eine gewisse Sehnsucht breit zu machen, dass das neue Normal nicht allzu weit vom alten Normal entfernt sein möge. Der eigene Einblick ist dabei aber begrenzt. Außer Schreibtisch, Supermarkt und gelegentlicher Spaziergänge im Umland gibt es nach wie vor kein Leben außerhalb der Wohnung.
Der 75. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai ist zwar nicht komplett untergegangen, wurde aber mit weniger Pomp begangen als wahrscheinlich ursprünglich vorgesehen. Die tendenziell risikobehaftete Zusammenkunft hat man zu diesem Anlass weitgehend vermieden. Die waren den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen vorbehalten.
Ein erneuter Coronafall im Pflegeheim der Schwiegermutter unterläuft alle Ambitionen den direkten Kontakt nach Monaten der heiminternen Isolation wieder herzustellen.
ma

 

Samstag, 9. Mai 2020
In unmittelbarer Nachbarschaft zum Hochrisiko-Landkreis Tirschenreuth befindet sich der Landkreis Neustadt/Waldnaab, in dem geografisch die kreisfreie Stadt Weiden gelegen ist. Und dort ahndet man Verstöße gegen Corona-Auflagen besonders rigoros, weshalb ich meinen überfälligen Familienbesuch dorthin vorsichtshalber auf heute verschoben habe. Triftigkeitskontrollen sind jetzt nach Inkrafttreten der Lockerungen ebenso wenig zu erwarten wie überraschende Bußgeldbescheide aufgrund unklarer Rechtslagen. Meine Befürchtung, dass nun deshalb die Züge übervoll sind, bewahrheitet sich zum Glück nicht. (Erstaunlich, wo doch auf dieser Strecke der Fahrplan massiv ausgedünnt wurde. Die Länderbahn, die die Strecke zwischen München und Hof mit Alex bzw. Oberpfalzbahn bedient, hat von 29 Verbindungen sage und schreibe 20 ersatzlos gestrichen.) Nach neuer Regelung wären ja nun unter Einhaltung der geforderten Schutzmaßnahmen auch kleine Vergnügungsreisen zu Verwandten und Freunden möglich. Das wird vom Publikum offenbar (noch) nicht angenommen. Zumindest nicht auf dieser Strecke. Was aber auch nicht verwunderlich ist. Zum einen hat sich die Reisedauer aufgrund des Notfahrplans teilweise erheblich verlängert und zum anderen ist es halt auch kein großes Vergnügen, eine mehrstündige Zugfahrt unter einer Maske zu verbringen.
Hqd

 

Mittwoch, 6. Mai 2020
Die Bundesländer geben eigene Lockerungsfahrpläne heraus und überfahren damit Frau Merkel. Das ist zumindest meine Interpretation des Geschehens. Es wird damit deutlich unübersichtlicher. Räumlich und zeitlich jeweils ein eigener Regelungsstand. Ich bin verwirrt und nicht unbedingt motiviert herauszu­finden, was jetzt eigentlich ab wann geht. Die Betroffenheit von den Lockerungen ist als kinderloses Paar ohnehin gering. Mit dem Ansatz ‚weitermachen wie bisher’ kann man vermutlich nichts falsch machen, auch wenn man damit in der Minderheit scheint. Bei schönem Wetter, dem aber nach wie vor noch eine Grundkühle unterlegt ist, bewegen sich die meisten so, als gäbe es kein Corona. Das Vermummungsgebot in Innenräumen scheint zwar allgemein akzeptiert, aber im Freien bewegen sich die Leute wie in alten Zeiten.
ma

 

Dienstag, 5. Mai 2020
Auf der heutigen Pressekonferenz der Staatsregierung wurde das Ende der bayrischen Ausgangsbeschränkung bekannt gegeben. Ab morgen gilt nun auch hier eine großzügiger gehaltene Kontaktbeschränkung. Das bedeutet in der Praxis mehr Bewegungsfreiheit, die den sozialen Umgang wesentlich erleichtern dürfte. Ein erstes kleines Licht am Ende des Tunnels.
Hqd

Der bayerische Ministerpräsident macht eine scheinbare Kehrtwende und stellt Lockerungen in Aussicht. Erste schon ab Morgen. Ich bin verwirrt ob der Details. Spielplätze sollen öffnen, Besuche der Familie in gerade Linie sollen wieder möglich sein und eine Kontaktperson bzw. Kontakthaushalt ist drin. Besuche im Pflegeheimen wohl ab dem kommenden Muttertagswochenende. Die Einrichtung, in der die Schwiegermutter untergebracht ist, versucht bereits planlos Termine zu koordinieren für sogenannte Fensterbesuche und Einzelbesuche zu definierten Timeslots in der Cafeteria. Das Ganze läuft aber ohne Beachtung von Basisprinzipien von Organisation. Drei Anrufe, von drei verschiedenen Personen, die, wie man so schön sagt, alle von einem anderen Sachstand berichten. Kurz: niemand hat einen Plan. Ich auch noch nicht. Auf die Schnelle ist im Internet nicht zu ermitteln, was jetzt eigentlich genau ab wann beschlossen ist.
ma

 

Montag, 4. Mai 2020
Je länger die Corona-Krise fortschreitet, umso heftiger bricht ein täglicher Sturzbach an Informationen über uns herein. Was eine gesellschaftliche Gewichtung nicht gerade erleichtert. Geisterspiele in der Bundesliga, Forderung von staatlichen Hilfen für die Automobilindustrie, Antikörper-Tests. Gottesdienste, Urlaubsöffnungen in Meck-Pomm, neue Regeln hier, neue Regeln da. Der Weg zurück zur ‚Normalität’ findet in einem kakophonen Stimmengewirr statt und in meinem persönlichen Umfeld höre ich inzwischen häufiger von strikter Nachrichtenverweigerung, um nicht komplett kirre zu werden. Und vielleicht ist eine temporäre Corona-Abstinenz auch durchaus nützlich, um in dieser Stille auch wieder einmal den lautlosen Rufen derjenigen nach zu spüren, die durch die Krise ihre Stimme komplett verloren haben. Zum Beispiel Kinder, die Opfer häuslicher Gewalt werden. Zu Beginn der Ausgangsbeschränkungen gab es vereinzelt Warnungen vor einer Zunahme häuslicher Gewalt, wobei da die Gewalt gegen Kinder in der Regel noch geknüpft war an die Gewalt gegen Frauen. Das hat sich in den letzten Meldungen etwas entkoppelt, weil unter den Leuten, die mit diesem traurigen Thema beruflich befasst sind, hinlänglich bekannt ist, dass Gewalt gegen Kinder durchaus auch von weiblichen Bezugspersonen ausgehen kann. Kinder haben in der Krise nur wenig bis gar keine Kommunikationsmöglichkeiten mit der Außenwelt. Im Falle von gewalttätigen Übergriffen, seien sie physisch oder psychisch, besteht ihr einziger Schutz aber in deren sozialer Kontrolle, die es in Corona-Zeiten nicht mehr gibt. Kitas und Schulen sind für den Großteil der Kinder geschlossen. Jugendämter arbeiten nur eingeschränkt. Telefonische Betreuung, von wem auch immer, funktioniert bei Kindern in der Regel eher nicht. Eine erwachsene Frau, die als Kind Opfer häuslicher Gewalt geworden ist, äußerte sich hierzu im bayer. Rundfunk wie folgt: 'Wenn ich daran denke, ich hätte als Kind zu Hause gestanden und ich krieg den Telefonhörer von Mutter oder Vater und da steht jemand neben mir. Da bin ich mir sicher, man hätte am anderen Ende der Leitung immer geglaubt, es ist alles in Ordnung.' Falls, wie prognostiziert, ein Normalbetrieb in Kitas und Schulen noch geraume Zeit auf sich warten lässt, muss man sich seitens der Politik Gedanken machen, wie man diese Notsituation anderweitig entschärfen kann. Durch geänderte Umgangsregelungen im familiären Bereich etwa. Es lässt sich z.B. nicht so ohne weiteres nachvollziehen, warum sich lt. bayerischer Allgemeinverfügung Lebenspartner*innen, wie auch immer definiert, problemlos besuchen können, ohne dass dabei auf potentielle Infektionswege oder gefährliche Krankheitsbilder geachtet werden muss. Pumperlgsunden Großeltern hingegen, die womöglich bisher für eine Entlastung in den Haushalten ihrer Kinder gesorgt haben, wird der Umgang mit den Enkeln verwehrt, auch wenn da die Infektionsgefahr wesentlich geringer ist. Mit plumper Altersapartheid wird man dieser Problemlage nicht Herr werden. Stattdessen braucht es lebensnahe und flexible Strategien. Und zwar schnell.
Hqd

Wenn man in der alten Zeit vor Corona ein Gefühl dafür bekommen wollte, was in der Stadt so los ist, hat man versucht, in einer Kneipe oder einem Geldautomatenraum der Sparkasse eine ‚in München’ aufzutreiben. Da stand vermeintlich alles drin – zumindest aus der Sicht von jemandem, der noch vor dem Internet seine Nachtlebensozialisation genossen hat und sich später keine Mühe gegeben hat, in irgendwelche elektronischen Kommunikationsstrukturen zu dem Thema einzusteigen. Den dramatischen Meltdown des Kulturlebens, der die ohnehin schon immer mehr oder weniger prekär lebenden Träger dieser Aktivitäten hart getroffen hat, müsste sich inzwischen massiv in diesem Umsonst-Stadtmagazin spiegeln. Dem ist aber nicht so, weil die Printausgabe aktuell ausgesetzt ist, wie man der inzwischen recht dünn gestalteten Internetpräsenz des Magazins entnehmen kann. Kein Nachtleben – keine Anzeigen – keine Printausgabe kann man da im Artikel ‚in eigener Sache’ lesen. Nur ein kleiner Indikator für das, was kommen wird. Die protestantische Sehnsucht nach einer Welt ohne Kneipen rückt näher.
ma

 

Freitag, 1. Mai 2020
Tag der Arbeit – Feiertag und ehemaliger Kampftag der Arbeiterklasse. Geblieben waren die Umzüge, die Kundgebungen und die Demonstrationen, die die Stärke einer verblichenen Klasse und ihrer Orga­nisation zeigen sollten. Dieses Jahr findet das Ganze angeblich Online statt – von ein paar abstands­wahrenden Vertretern in der realen Welt abgesehen. Geht das überhaupt? Eine Kundgebung Online?
ma

 

Donnerstag, 30. April 2020
Ankündigung von Kurzarbeit ab kommenden Montag. Auch wenn das nur eine Reduktion der Arbeit auf 70% bedeutet, ist es als Phänomen an sich im Mai schon fast mehrheitsfähig. Angeblich haben ein drittel aller Betriebe in der Bundesrepublik Kurzarbeit angemeldet.
ma


 

Mittwoch, 29. April 2020
Der unter ökonomischem Druck lauter werdende Ruf nach Normalisierung der Verhältnisse rückt endlich den Fokus auf die Bevölkerungsgruppen, die bei deren Umsetzung eine Schlüsselrolle spielen: nämlich die Kinder und Jugendlichen (gemeint ist die Altersgruppe von 0-18 Jahren) und die Menschen, die mit ihnen befasst sind (v.a. Eltern, Großeltern, Lehrer und Betreuer). Aber kaum, dass das Thema Kinder und Corona in der Öffentlichkeit breitere Aufmerksamkeit erfährt, kommen auch schon wieder die ersten Meldungen über Reaktionen, die nicht minder erschreckend sind, als es die Forderung nach pauschaler Isolation von Alten und Kranken ist. In Miesbach wurde ein alleinerziehender Papa mit seinem vierjährigen Kind am Betreten einer Postfiliale gehindert. Ähnliches wird auch schon aus Hamburg berichtet. Das offenbart eine latent vorhandene Geisteshaltung in unserer Gesellschaft, die auf komplexe Problemlagen dieser Art reflexiv mit dem rassistischen Muster der Ausgrenzung reagiert, dem nicht nur rigoros entgegen zu treten ist, sondern das natürlich auch in seiner Wirkung ins Leere läuft. (Siehe die Ausgrenzung der Alten und Kranken, die man angeblich schützt, indem man sie einfach isoliert. Und trotzdem sterben in den Alten- und Pflegeheimen zuhauf infizierte Menschen mangels rechtlich zwingender Schutzmaßnahmen, auf die man dank Isolation noch immer glaubt, verzichten zu können.) Einer Normalisierung der Verhältnisse wird man aber mit populistischen Maßnahmen nicht näher kommen. Dazu bedarf es einer differenzierten Herangehensweise, die den vielschichtigen Problemen gerecht wird, die einer Normalisierung im Wege stehen. Kinder und Jugendliche als Infekt-Multiplikatoren, die bei einer Infektion selbst nur milde betroffen sind oder ganz symptomfrei bleiben, lassen sich nicht einfach dauerhaft wegsperren und ausgrenzen. Schon gar nicht in einer heillos überalterten Gesellschaft wie der unseren. Das scheint im politischen Diskurs angekommen zu sein. Knackpunkte sind zum einen die berufstätigen Eltern und zum anderen Kitas, Kindergärten und Schulen, die allmählich wieder dringend ihren jeweiligen Aufgaben nachkommen müssen. Über das Wie und Wann wird inzwischen ziemlich laut nachgedacht. Der bayer. Elternverband spricht sich gegen die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts im laufenden Schuljahr aus. Der BLLV befürchtet, dass die ‚Einschulung im September fast unmöglich’ ist. Der bayerische Kultusminister Piazolo hingegen versicherte auf der gestrigen Pressekonferenz, dass die Einschulung im September planmäßig über die Bühne gehen wird und zudem für alle Schüler auch dieses Schuljahr noch ein Präsenzunterricht stattfinden soll. An der Logistik für all das werde mit Nachdruck gearbeitet. Ohne eine funktionierende Lösung dieses zentralen Problemkomplexes ist an eine Normalisierung auch in anderen Lebensbereichen nicht zu denken.
Hqd

 

Montag, 27. April 2020
Homeschooling birgt in erster Linie die große Gefahr einer Benachteiligung für Kinder aus bildungsfernen Schichten resp. für Kinder ohne Zugang zu dem dafür nötigen Equipment. Es kann sich aber auch als eine technische Herausforderung für Teile des Lehrkörpers entpuppen. Video-Konferenzen sind für ungeübtes Personal durchaus tückisch und voller Fallstricke. Der Blick in das unaufgeräumte Arbeitszimmer und ähnliche Inkompetenzen der Lehrkraft in der Handhabung solch eines digitalen Forums kann leicht ein negatives Licht auf deren didaktische und fachliche Kompetenz werfen. Und Zweifel daran seitens der Schülerschaft sind für Betroffene kein Honiglecken. Blank liegende Nerven dürften daher dieser Tage im (fast) ausschließlich digitalen Schulbetrieb keine Seltenheit sein.
Seit heute darf man sich nun auch in Bogota eine Stunde täglich zwischen 6 und 10 Uhr morgens sportlich im Freien bewegen. Dort ist man offenbar auch zu der Einsicht gelangt, dass Bewegung an der frischen Luft der Allgemeingesundheit dienlich ist. Und die Luft soll dank der Ausgangsregeln tatsächlich so frisch und sauber sein wie nie zuvor. Bemerkenswert in einer Stadt, in dessen Straßenbild schon vor Corona Menschen mit Atemschutzmasken nichts Außergewöhnliches waren.
Hqd

Ein Gurkenwurf im Supermarkt schafft es in die Kurznachrichten. Zwar nicht in die Tagesschau, aber auf die Startpage der üblichen Free-E-Mail-Dienste und auf die lokale Nachrichtenseite. Der Wurf – so kann man der Notiz entnehmen – speiste sich aus Entrüstung gegen die Abstandsregeln und galt der Kassiererin, zerstörte aber stattdessen eine Lampe und wurde erfolgreich polizeilich verfolgt. Wenn das repräsentativ für die Eskalationslage ist, muss man sich keine Sorgen um den Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung machen.
ma

 

Sonntag, 26. April 2020
Am Vorabend des Maskengebots fürs Einkaufen sind wir vorbereitet. Auf der Kommode finden sich fein säuberlich aufgereiht kleine Papiertüten, die an Pausenbrotverpackungen in den 70er-Jahren er­innern. In jeder findet sich eine desinfizierte Maske für den Einsatz bei den täglichen Besorgungen. Wir sind gerüstet.
ma

 

Freitag, 24. April 2020
Auf der Litfaßsäule am Arbeitsweg findet sich eine Kinderzeichnung ‚Nikoh malt das Coronavirus’. Der Rest der Republik sucht gerade Munition für die jeweilige Position im Konflikt um Geschwindigkeit und Ausmaß der sogenannten Öffnung bzw. Lockerungen des Shutdowns. Ab Montag gilt in Bayern Maskenpflicht in Geschäften, von denen es dann aber auch wieder mehr offene gibt.
ma

 

Mittwoch, 22. April 2020
Unter dem Titel Wenn Heime zur Falle für alte und behinderte Menschen werden lese ich auf der Seite des Bayerischen Rundfunks einen Bericht über Pflegeheime und bin einigermaßen irritiert, als ich darin erfahre, dass es bis dato für Mitarbeiter in diesen Heimen keine Maskenpflicht gibt. Mitarbeiter*innen eines großen fränkischen Trägers von Behinderten- und Altenheimen haben sich anonym an den BR gewandt, weil sie lange Zeit völlig ungenügend ausgestattet waren mit den notwendigen Schutzaus-rüstungen. Und es vermutlich noch heute sind. Der Heimbetreiber hingegen sieht diesbezüglich bislang keine Engpässe. Dem widersprechen die betroffenen Beschäftigten und sehen mit Sorge auf eine Reihe von Covid-19 Erkrankungen und Todesfällen in den Heimen des Betreibers. In dem Artikel erfährt man weiter, dass das bayerische Gesundheitsministerium seit Anfang April einen präventiven Mund-Nasen-Schutz für Beschäftigte in Behinderten-, Alten- und Pflegeheimen empfiehlt. Eine Verpflichtung gibt es hierzu allerdings nicht. Stattdessen gibt es sog. Priorisierungsempfehlungen hinsichtlich Schutzausrüstungen bei Ressourcen-Mangel. In diesem Artikel findet sich auch ein Link zu einem investigativen NDR-Bericht, aus dem hervor geht, dass lt. RKI ein Drittel aller Corona-Toten in Deutschland in Heimen gestorben ist. In erster Linie Bewohner, aber auch Beschäftigte, wobei es hier auch noch eine hohe Dunkelziffer zu geben scheint, weil sich knapp 1000 Todesfälle keiner bestimmten Masseneinrichtung (Gefängnisse, Asylunterkünfte, Pflegeheime etc.) zuordnen lassen. Kein Wunder also, dass die Beschäftigten in derartigen Heimen mittlerweile einen Pfifferling geben auf den Helden-Applaus, der ihnen wie Hohn in den Ohren klingen muss. Solidarität mit den Alten und den Schwachen und den Menschen, die sich um sie kümmern, sieht anders aus.
Hqd

 

Dienstag 21. April 2020
Ich übe schon fleißig das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in der Öffentlichkeit, um nächste Woche, wenn es ernst wird, einigermaßen gewappnet zu sein. Und es klappt eigentlich auch ganz gut, weil mir das Tragen der Schals, mit denen ich mich zu maskieren gedenke, ja vom Winter her noch bestens vertraut ist. Auf der Pilgersheimer Straße vor dem Supermarkt, in dem ich bevorzugt einkaufe, wird gerade von einer Polizeistreife ein kleiner Unfall mit Sachschaden protokolliert. Als ich, Schal vor dem Gesicht, daran vorbei gehe, registriere ich zwei alarmierte, auf mich gerichtete Augenpaare, die mich aus dem Streifenwagen noch einen Moment lang irritiert verfolgen. Alte Reflexe, die plötzlich nichts mehr taugen, weil das Vermummte das neue Gute ist. Üben ist da auch bei den Gesetzeshütern angesagt.
Hqd

Die Wiesn ist abgesagt. Die Bayern ziehen die Dinge ja gerne durch, insbesondere, wenn Bier und Freiluft beteiligt ist, doch diesmal scheint man ein Einsehen zu haben. Wird das ein Herbst ohne Dirndl und Lederhosen, dafür aber mit Maske?
ma


 

Montag 20. April 2020
Auch Bayern gönnt sich jetzt ab kommender Woche ein Anti-Vermummungsverbot in Läden und dem öffentlichen Nahverkehr. Wir basteln noch an unserer Maskenstrategie (gekaufte Einweg gegen Mehrweg-DIY).
ma

 

Sonntag 19. April 2020
Kurzer Spaziergang im Hinterland des Ammersees, ansonsten ist der Streamingdienst unser bester Freund.
ma

 

Samstag 18. April 2020
Die Maske ist in aller Munde. Noch keine Pflicht, aber doch ein dringliches Gebot. Macht ja auch Sinn angesichts der Übertragungswege des Virus. Ich wähle für mich die durchaus akzeptierte Variante mit einem Schal über Mund und Nase. Ich war schon als Kind im Fasching beim Cowboy- und Indianer-Spielen gerne der Bandit mit dem Tuch vorm Gesicht. Falls sich das Gebot der Stunde zu einer dauer-haften Mode mausert, wäre das neben dem Infektionsschutz auch eine begrüßenswerte Herausforderung an die Apologeten der technischen Gesichtserkennung.
Hqd

 

Freitag, 17. April 2020
Auf Spiegel-Online sind die neuesten Zahlen zur Pandemie unter dem Titel ‚Die Covid-19-Pandemie im Schnellüberblick’ aufgelistet wie der Medaillen-Spiegel bei den Olympischen Spielen. An erster Stelle stehen die USA. Wie auf makabre Art herbei gebetet von deren Präsidenten Trump durch sein Mantra, das da lautet: America first.
Ab Montag tritt eine neue bayerische Notverordnung inkraft, welche die bisher gültige vom 27. März ablöst und dem politischen Willen nach einer langsamen Lockerung der Einschränkungen besonders im wirtschaftlichen Bereich Rechnung trägt. Aber auch im privaten Bereich gibt es eine beachtenswerte Neuerung. So darf man sich ab Montag nicht mehr nur alleine oder mit Angehörigen des eigenen Hausstandes im Freien bewegen sondern auch mit einer Person, die nicht dem eigenen Haushalt an-gehört. Dadurch wird etwas mehr Rechtsklarheit geschaffen sowohl für getrennt wohnende Lebenspartner als auch für die Umgangsmöglichkeiten mit minderjährigen Kindern bei getrennten Eltern. Wir verschieben meinen Besuch dieses Wochenende und einigen uns auf kommende Woche, um mal wieder einen kleinen Ausflug in die wunderschönen Wälder der nördlichen Oberpfalz unternehmen zu können, ohne Gefahr zu laufen, dafür mit einem saftigen Bußgeld belegt zu werden. Und das geht der dortigen Polizei besonders leicht von der Hand, wo doch diese Region mittlerweile zum sogenannten ‚Hotspot’ der Nation geworden ist.
Hqd

Die Tonlage wird weniger grell, zumindest in Deutschland. Das Infektionsgeschehen ist unter Kontrolle heißt es, trotzdem noch nicht von jetzt auf gleich locker lassen, heißt es. Corona wird uns noch lange begleiten und eine neue Normalität ist zu erarbeiten. Die soll natürlich keine wirtschaftlichen Einschränkungen mit sich bringen. Vielleicht werden Großveranstaltungen mit Livepräsenz einst dem barbarischen 20. Jahrhundert zugeschrieben, dann in der Geschichtsschreibung bis 2020 läuft. Ansonsten läuft das Geschäft aber ab 2021 wieder. Nur heißer wird es.
Die rebellische Anwältin ist mental anscheinend inzwischen vollkommen abgeschmiert. Ihre Homepage ist unbehelligt erreichbar, aber offensichtlich nicht wirklich lesenswert. Die Einträge sind entweder eine Parodie auf die verschwörungstheoretischen und hysterischen Aspekte der Netzkommunikation oder ein Teil davon. Einlassungen aus dieser Kampfklasse haben uns in der persönlichen Kommunikation zum Glück noch nicht erreicht.
ma

 

Donnerstag, 16. April 2020
Ich spüre, dass mir die Ausgangsbeschränkung allmählich körperlich zu schaffen macht. Daran ändert auch das bisschen Hanteltraining und der tägliche Gesundheitsspaziergang rüber an die Isar nix. Mir schlafen allmählich die Füße ein und deshalb entschließe ich mich, mein Fahrrad zu reaktivieren. Ich habe ein Jahresabo für den MVG und habe die letzten Jahre mein Fahrrad nur zur Freizeitgestaltung am Wochenende genutzt. Das letzte Mal, dass ich im Sattel gesessen bin, ist nun fast zwei Jahre her. Wir haben im Hinterhof einen großen, überdachten Fahrradständer und darin steht es unter vielen an­deren und staubt ein. Der südliche Mittlere Ring ist Luftlinie schätzungsweise hundert Meter entfernt und auch bei wöchentlicher Nutzung musste ich es vor Gebrauch immer erst ordentlich reinigen vom Feinstaub-Fallout, bevor ich damit losfahren konnte, ohne mir die Hose zu versauen. Jetzt ist es in eine derart dicke Staubschicht eingewoben, dass von der ursprünglichen Farbe nix mehr zu sehen ist. Mit einer Schüssel Wasser und einem großen Putzlappen mache ich mich an die Arbeit, bis das Silber des Schutzblechs und das Rot des Rahmens in alter Frische in der Sonne leuchtet. Die Reifen ordent­lich aufgepumpt, ein bisschen Öl auf die Kette und die Bremsen getestet, geht es los in der Hoffnung, dass ich mich noch einigermaßen auf einem Fahrrad bewegen kann. Schon nach den ersten Metern spüre ich, wie es in meiner Beinmuskulatur zu arbeiten beginnt, und aus der kleinen Testfahrt rund um den Block wird eine längere Fahrt entlang der Isar. Ich bin richtig euphorisiert über diese kleine Freiheit in der großen Einschränkung und werde das in Zukunft zu einem Teil meiner täglichen Rou­tine machen. Getting physical again.
Hqd

Die nahe Zukunft wurde heute beschlossen. Es geht noch ein wenig weiter mit dem aktuellen Shut­down, doch erste Änderungen sind für kommende Woche in Aussicht gestellt. ‚Lockerungen’ ist die Vokabel des Tages. Langsames Anstarten von Schulen mit neuen Hygienevorschriften und Öffnung der kleinen Läden um die Ecke, wenn sie Abstandsregeln gewährleisten können. Bayern macht es wie so oft ein wenig anders. Da geht es mit der Schule erst später los.
ma

Dienstag, 14. April 2020
Bis Impfstoff bzw. Medikamente zur Verfügung stehen, bedarf es zur Bewältigung der Corona-Krise aus medizintechnischer Sicht, so der Tenor in der Berichterstattung, vor allem einer ausreichenden Ausstattung des Gesundheitssystems mit Intensiv-Kapazitäten und Beatmungsgeräten. Zumindest ist das bei mir aus der ganzen Informationsflut, die einem da hinsichtlich Corona seit geraumer Zeit um die Ohren rauscht, so hängen geblieben. Jetzt weiß man als medizinischer Laie erst einmal wenig über Intensivtherapien und noch weniger über Beatmungsgeräte. Wir haben eine Ärztin in der Familie und ich habe bei ihr in unserem Ostertelefonat einmal nachgefragt, was unter so einer Intensivtherapie eigentlich zu verstehen ist. Und bekam zur Antwort, dass es sich hierbei um eine Intubation handelt, die für den Patienten sehr heftig und zudem ziemlich riskant ist, weil sie oft mit schweren, bleibenden Schäden verbunden ist. Zu diesem Thema bin ich dann auf der Seite des Deutschlandfunks auf ein Interview mit dem Palliativmediziner Matthias Thöns gestoßen, in dem dieser eine ‚sehr einseitige Ausrichtung auf die Intensivbehandlung’ bei Corona Patienten beklagt und für eine bessere Aufklärung plädiert, weil eine Intensivtherapie sehr leidvoll wäre und das Verhältnis zwischen Nutzen und Schaden kaum stimme. Er führt in dem Interview u.a. aus, dass ein Großteil der coronabedingten Intensivbehandlungen bei zumeist alten Menschen mit schweren Vorerkrankungen vorgenommen wird, die bereits palliativmedizinisch behandelt wurden und die dann bei Corona-Diagnose einfach zu Intensivpatienten gemacht und einer (hochpreisigen) Intensivbehandlung unterzogen werden. Auch er spricht von zum Teil schwersten Behinderungen nach einer Beatmungstherapie. Und das sind Zustände, die lehnen die meisten älteren Menschen für sich ab, sagt Thöns. Ich sehe ,’das sind sehr falsche Prioritäten und es werden ja auch alle ethischen Prinzipien verletzt, die wir so kennen.’
In einer Informationssendung heute Vormittag auf Bayern2 höre ich dann ein Gespräch mit zwei Medizinern, die exakt zu diesem Thema zu ganz ähnlichen Einschätzungen kommen, insbesondere was den Mangel an Aufklärung betrifft hinsichtlich der palliativmedizinischen Versorgung in Deutschland, wo niemand mehr befürchten müsse, einen grausamen Erstickungstod zu sterben.
Mir kommt dabei etwas sehr Privates in den Sinn. Bei meinem Vater wurden Auffälligkeiten an der Lunge festgestellt. Er hatte damals seinen 85ten bereits ein gutes Stück hinter sich. Im Klinikum, in das ihn sein Hausarzt überwiesen hat, wurde Lungenkrebs im Frühstadium diagnostiziert, der mit einer Chemo-Therapie noch leicht in den Griff zu kriegen wäre. Das lehnte mein Vater mit Hinweis auf sein Alter ab. Aber man blieb seitens des Klinikums, gelinde gesagt, ziemlich offensiv am Ball, weil es hier ja schließlich um Leben und Tod ginge. Mein Vater war trotz hohen Alters im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte und blieb resolut bei seiner Ablehnung, so dass man ihn letztendlich ohne (hochpreisige) Chemo-Therapie entlassen musste. Er erlebte hernach bis zu seinem 89ten noch eine geruhsame, (zumindest lungentechnisch) beschwerdefreie Zeit, genoss noch viele Nachmittage bei Kaffee und Kuchen auf der Veranda und den Gesang der Vögel in seinem Garten. Eines Morgens, meine Mutter hatte bereits zum Frühstück gedeckt, schaute sie nach ihm, weil er noch nicht aus den Federn war und fand ihn verstorben in ihrem Ehebett. Sie sagt, er habe ein Lächeln auf dem Gesicht gehabt.
Hqd

 

Montag, 13. April 2020
Das Nachbarskind läuft tobend durch den Garten und herrscht seine Eltern an: ‚Wenn ich groß bin verbiete ich euch auch mal alles!’
PN

Im Netz findet sich ein Artikel über eine Heidelberger Anwältin, die sich auf ihrer Homepage kritisch aber mit leicht hysterischem Unterton mit den Corona-Maßnahmen von Bund und Ländern ausein­andersetzt und zu Demonstrationen an Ostern aufruft. Das kostet sie für einen Tag ihre Webpräsenz. Unabhängig davon, wie man zu ihren Einlassungen steht, lässt das nichts Gutes hoffen für eine zu­künftige Auseinandersetzungskultur und einen Umgang mit denen, die die aktuellen Maßnahmen kri­tisch sehen. Hier kommen Notstandsphilosophien zum Tragen und natürlich auch eine Krise der Kern­aspekte des Liberalismus. Pandemische Effekte unterlaufen eine Grundannahme dieser individualis­ti­schen Philosophie, nämlich dass erst einmal jeder für seine persönliche Lebensgestaltung verantwort­lich ist und Drittwirkungen in erster Annäherung vernachlässigt werden können. Pustekuchen. Gibt es ein Recht auf einen Ausflug mit Fieber und Husten ins Pflegeheim? Und wo ist die legitime Grenze jen­seits derer die Diskussion verweigert und Einschränkungen mit Gewalt durchgesetzt werden dürfen?
ma

 

Samstag, 11. April 2020
Ein österliches Ausflugsverbot für das südliche Ostallgäu wurde zurück genommen, nachdem der Kommunalrechtler Max-Emanuel Geis die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme angezweifelt und dem zu-ständigen Landratsamt die Kompetenz für so eine Verordnung abgesprochen hatte, weil diese mit der Allgemeinverfügung des Gesundheitsministeriums kollidiere, nach der Bewegung im Freien prinzipiell erlaubt ist, egal wo diese stattfindet. Das bayer. Innenministerium hat dem Rechnung getragen und die Polizei angewiesen, diesbezüglich keine Kontrollen durchzuführen. Soweit so gut. Das südliche Ostallgäu ist ein Touristen-Hotspot und schafft es deshalb problemlos in die öffentliche Aufmerksamkeit. Viele andere ähnlich diffus gelagerten Sachverhalte tun das aber nicht und sorgen so für eine gehörige Rechtsunsicherheit, die u.a. auch von sich zum Teil erheblich widersprechenden Verordnungen herrührt. Ein Beispiel unter vielen anderen im bayerischen Corona-Management ist der Besuch beim Lebenspartner, der in der gültigen Allgemeinverfügung ausdrücklich gestattet wird. Ebendort liest man dann ein Paar Zeilen später, dass Sport und Bewegung an der frischen Luft, allerdings ausschließlich alleine oder mit Angehörigen des eigenen Hausstandes und ohne jede sonstige Gruppenbildung stattfinden darf. Schaut man nun auf die Seite des bayer. Innenministeriums, so findet man dort unter den FAQs zum Thema Besuch beim Lebenspartner folgenden Eintrag: Ja, das ist erlaubt. Auch ein gemeinsamer Spaziergang mit dem Lebenspartner ist möglich. Um die Verwirrung komplett zu machen, ergänzt Gesundheitsministerin Huml dann mündlich irgendwo auf einer Pressekonferenz, dass mit Lebenspartner nicht die Rechtsform gemeint ist, sondern der Partner oder die Partnerin, mit der man halt gerade irgendwie zusammen ist. So ist es nur folgerichtig, dass lt. Innenministerium diese Regelung auch für die ‚Lebenspartnerschaft’ von Minderjährigen gilt, die beide noch bei ihren Eltern leben. Das heißt im Grunde, dass das Gesundheitsministerium in ihrer rechtsverbindlichen Allgemeinverfügung mit einer leeren Begriffshülse operiert, in die man mit etwas Fantasie letztendlich rein packen könnte, was man will. Aber Vorsicht, die Sache hat einen praktischen Haken. Wenn nämlich die Kontrolleure von der Polizei eine ‚Lebenspartnerschaft’ nicht als solche akzeptieren, dann steht es ihnen frei, den Beteiligten, ihrer persönlichen Einschätzung entsprechend, ein saftiges Bußgeld aufzubrummen. Und Rechtsmittel gegen Bußgeldbescheide mit Coronabezug haben nach Ansicht von Bürgerrechtlern im Moment wenig Chancen vor Gericht. So meint etwa der Hausjurist der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), Bijan Moini: ‚Eine ganz andere Frage ist natürlich, ob auch im Ergebnis Rechtsschutz gewährt wird. Da sieht es eher mau aus.’ Bisher seien die Richter sehr zurückhaltend, wenn es darum gehe, behördlichen Einschätzungen entgegenzutreten. ‚Manche Gerichte sind augenscheinlich etwas überfordert von der Verantwortung, die ihnen aufgebürdet wird.’ Bei dieser mit heißer Nadel gestrickten Sprach- und Kompetenzverwirrung ist das auch kein großes Wunder. Auf lange Sicht aber könnte eine solche Praxis die Rechtsstaatlichkeit erheblich aushöhlen und sich durchaus zu einem Legitimationsproblem auswachsen.
Hqd

In der Türkei hat man sich recht kurzfristig zu einer kompletten Ausgangssperre inklusive Schließung der Geschäfte entschlossen. Die Ankündigung ohne Vorlauf hat zu Aufläufen in Lebensmittelläden geführt. In der Berichterstattung dominiert eine Mischung aus Sensationsheischerei und Häme (vermutlich für die misslungene Maßnahme einer Erdogan-Administration). Für die Betroffenen ist das wohl weniger interessant, als mehr übel und belastend.
ma

 

Karfreitag, 10. April 2020
Wir nehmen unseren Spaziergang in den sanften Hügeln hinter der selbstverständlich geschlossenen Schatzbergalm am Dießener Hochufer des Ammersees. Auf den an sich nicht besonders bekannten Pfaden tummeln sich bei bestem Wetter fast mehr Menschen als an einem ‚normalen’ Frühlingstag. Auf dem Rückweg werden wir auf eine Abkürzung zum Auto gezwungen. Ein paar Meter den Güterweg hinunter nähert sich der lautstarke Beziehungsstreit eines Pärchens einem vorläufigen Höhepunkt. Wir wollen unsere Standpunktslosigkeit der letzten Tage nicht aufgeben und fliehen unauffällig. Der Rückweg über die Landstraße des Westufers beschert uns dann aber doch noch eine Polizeikontrolle – unsere erste im 21. Jahrhundert. Es sei nur eine normale Verkehrskontrolle, aber angesichts des Münchener Kennzeichens und der Coronalage sei doch die Frage nach dem Woher und Wohin erlaubt. Der Rückweg vom Tagesspaziergang ist dann doch ok und wir können unseren Weg fortsetzen.
Im Pflegeheim der Schwiegermutter wird die Isolierung indes auf die einzelnen Bewohner heruntergebrochen. Die Zimmer sind tunlichst nicht zu verlassen. Ein Coronafall in einem anderen Wohnbereich hält die Einrichtung in Atem und uns mit einem unguten Gefühl zurück.
ma

 

Mittwoch, 8. April 2020
Bei meiner morgendlichen Nachrichten-Lektüre zum Kaffee lese ich auf der ARD-Seite, dass (lt. Redaktions-Netzwerk Deutschland) Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn bzgl. der wieder eingeführten Kontrollen an den Grenzen zu Frankreich und Luxemburg einen dringlichen Appell an die Bundesregierung gerichtet hat: ‚Die Grenzkontrollen machen mir große Sorgen. Wir müssen höllisch aufpassen. Wenn der Schengen-Raum fällt, dann fällt auch das Europa der Bürger. Schengen ist die größte Errungenschaft der EU.’
Später am Morgen mache ich dann weiter mit meinem täglichen Corona-Frühjahrsputz, der sich als sehr nützlich erweist zur Strukturierung meines Alltags. Gestern waren die Fenster dran samt Jalousien. Heute werde ich im Waschsalon die Vorhänge waschen. Als nächstes habe ich das Ausmisten meines Kellers auf der Agenda und dann werde ich mit dem Rest Wandweiß, den ich noch habe, meine kleine Küche streichen. So ein Frühjahrsputz ist vom Psychologischen her eine interessante Angelegenheit. Es ist wie ein Aufbruch in eine neue Zeit und hat etwas zutiefst Befriedigendes, wenn man seine Wohnumgebung mit der ersten Frühlingssonne von den Schlacken winterlicher Bedrücktheit befreit, weil man es wieder leicht und hübsch haben will. Allerdings sollte man in diesen Tagen mit Tätigkeiten dieser Art besondere Vorsicht walten lassen, weil sie schnell und unerwartet ziemlich teuer werden können. So lese ich auf Onetz, dem Online-Auftritt der Weidener Tageszeitung ‚Der Neue Tag’, unter der Rubrik Leserfragen zu Corona (Teil 18/08.04.2020) folgende Frage samt Antwort:
Meine Nachbarin musste 150 Euro Strafe zahlen, weil Sie den Gehweg vor ihrem Haus gekehrt hat. Ist das wohl nicht erlaubt?
Aktuell sollte man sich immer die Frage stellen, ob die Tätigkeit außerhalb der Wohnung, nicht auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden kann. Den Gehweg von Dreck zu befreien, ist eine Tätigkeit, die verschoben werden kann und nicht zwingend notwendig ist. Die Räum- und Streupflicht bleibt aber weiterhin bestehen.
Hqd

Ich nehme mir vor, die Gesichtsmaske täglich zu waschen und in ein paar Jahren einem Museum als Zeitdokument zu spenden. Das Heimatmuseum Wasserburg kommt mir da in den Sinn.
In meinem Kopf skandiert Jemand: ‚Hosengummis! Hosengummis!’
PN

Das strahlende Wetter setzt sich fort. In Verbindung mit dem Zwangsurlaub läd das zum Spazierengehen ein – eine der Tätigkeiten, die explizit als dringlich eingestuft sind, vermutlich weil es sowohl als körperertüchtigend als auch als psychisch beruhigend gilt. Sonnenbaden, zum Beispiel ist nicht so dringlich und wird theoretisch geahndet, wenn es nicht auf dem eigenen Balkon stattfindet.
Die Krise zeigt die Aporie jeder Rechtssetzung – auch ohne Notstand. Keine Regel ohne den Einzelfall, der sie ad absurdum führt.
ma

 

Dienstag, 7. April 2020
In den Nachrichten wird von einem Mann aus Bamberg berichtet, der wiederholt Fremde zu sich ein-geladen habe. Auch berichtet man von einem Mann aus München, der erst beim Picknicken von der Polizei ermahnt worden und später bei einem Sonnenbade aufgegriffen worden sei. Er hätte sich ebenso uneinsichtig gezeigt wie der Mann aus Bamberg. Beide seien in Arrest gekommen.
Warum kommt das als wichtige Meldung in den Nachrichten?
Abschreckung?
Im Heimatmuseum Wasserburg am Inn steht ein schönes Exemplar eines Prangers. Ich stelle mir den Mann aus Bamberg, der erneut Freunde zu sich eingeladen hat vor, wie er am Grünen Markt in der Regnitzstadt an besagtem Pranger steht, und von Schaulustigen, die alle die vorgeschriebenen zwei-einhalb Meter Sicherheitsabstand zueinander halten, zum Gespött gemacht wird.
Unschöner hingegen ergeht es dem Münchner Sünder. Auf dem Odeonsplatz wird er an eine Schand¬geige gekettet. Auch er wird von der aufgebrachten Volksmenge verspottet. Jemand hat das Gerücht in die Welt gesetzt, der Sünder sei schuld an den Versorgungsengpässen. Der wilde Mob skandiert: ‚Hosengummi! Hosengummi! Hefe! Hefe! Litzen! Litzen!’
Vielleicht tritt sogar die vielzitierte Jugendclique auf, um den uneinsichtigen Mann aus München anzu-husten, ‚Corona, Corona!’ zu rufen, und schnell wegzurennen.
Auf inständiges Bitten des Bamberger Erzbischofs werden die beiden Schurken schließlich nach dreitä-giger Zurschaustellung von Ministerpräsident Markus Söder begnadigt.
Finstere Zeiten.
PN

Die Fallzahlen steigen in den Zentren der westlichen Welt zwar weiter, es kündigt sich aber eine Abflachung der Steigerungsraten an – woher auch immer das kommt. Österreich und Dänemark haben erste Lockerung der Ausgehverbote in Aussicht gestellt. Damit ist der Wettbewerb eröffnet wer am besten aus den Startlöchern kommt ohne sein Gesundheitssystem und seine Senioren zu ruinieren.
ma

 

Montag, 6. April 2020
Ich sehe in der ARD einen Bericht über sonntägliche Fahrrad-Ausflügler aus Hamburg, die gestern an der Grenze zu Schleswig-Holstein zurück gewiesen wurden, weil dort die Einreise für Auswärtige ohne triftigen Grund nicht mehr erlaubt ist. Auch Mecklenburg-Vorpommern hat seine Grenzen dicht gemacht. Dank des Infektionsschutzes, der ja bekanntlich Ländersache ist, haben die zuständigen Minis-terpräsident*innen jetzt also Befugnisse wie anno domini die deutschen Duodez-Fürsten. (siehe auch: Daniel der 1. Günther von Kiel und Manuela die 1. Schwesig von Meck-Pomm) Und das vermutlich so-lange, bis sich dero Hoheiten entschließen, den pandemischen Notstand für ihre Fürstentümer wieder aufzuheben. Und wie wir hören, kann das durchaus dauern.
Der europäische Scherbenhaufen wird immer kleinteiliger.
Hqd

In der Tankstelle werden neben der Kasse Gesichtsmasken angeboten. Die Schachtel ist schon fast leer. Ich kaufe eine Gesichtsmaske für 2,50 Euro. Eigentlich ist das Centware. Vermutlich in liebevoller Heimarbeit aus einer Damenbinde selbstgenäht. Habe ich nicht vor eine paar Tagen ein Paket meiner Mutter aufgeben müssen, in dem sich Hosengummis befanden?
Eine Chorkollegin meiner Mutter näht nämlich auch diese Mundschutze und benötigte dringend Hosengummis. Aktuell ist Gummilitze, im Volksmund Hosengummi genannt, schon weitgehend ausverkauft bzw. völlig überteuert.
Ein Tiger in einem US-amerikanischen Zoo sei an Corona erkrankt. Vermutlich hat er sich von seinem Pfleger anstecken lassen, erzählt die Frau in der Tankstelle.
PN

 

Sonntag, 5. April 2020
Ich sehe heute zum ersten Mal, wie die Polizei eine Anzeige gegen zwei Männer wegen Verstoßes gegen die Ausgangsbeschränkung protokolliert. Der Himmel ist blau, es scheint die Sonne und es ist frühlingshaft warm. Ich will mir in der Eisdiele um die Ecke eine Kugel Eis kaufen. Die Leute warten auf der Straße in vorschriftsmäßigem Abstand, bis sie dran sind, um dann einzeln einzutreten. Ich gehe mit meinem Eis vor zum Hans-Mielich-Platz in der Hoffnung auf eine freie Bank, um dort in der Sonne mein Eis zu schlecken. Seit der Kinderspielplatz gegenüber geschlossen ist, toben sich die meist kleineren Kinder jetzt hier auf dem geräumigen Hans-Mielich-Platz aus, sausen mit ihren Tretrollern und Inline-Skatern dahin oder spielen Fußball mit dem Papa. Am Rand des Platzes steht ein Polizei-Bus, besetzt mit zwei Beamten, die dem Treiben zuschauen. Die Bänke rund um den Platz sind allesamt besetzt. Ich spaziere mit meinem Eis in der Sonne dahin und sehe, wie sich das Polizeiauto langsam in Bewegung setzt und Halt macht an einer Bank, auf der ein Mann und eine Frau mittleren Alters ebenfalls ihr Eis verköstigen. Kurzer Wortwechsel. Der Mann mit dem Eis blickt höchst verwundert. Wahrscheinlich wurden die Beiden gerade aufgefordert, nach Verzehr des Eises die Bank wieder zu räumen, weil zu langes Herumsitzen im Freien nicht erlaubt ist. Ein paar Bänke weiter sitzen zwei Männer in ziemlich abgetragener Kleidung zwischen kleinem Gepäck und unterhalten sich amüsiert bei Bier und Zigaretten. Nicht verwunderlich ist die Bank der Beiden der nächste Polizeistopp. Wortwechsel durch das geöffnete Autofenster. Die Biertrinker scheinen die Ansage des Polizisten nicht recht zu verstehen. Der Korpulentere der Beiden verlangt offenbar nach näherer Erklärung und unterstreicht das mit entsprechender Gestik. Sein Begleiter lacht. Ich meine, in seiner Stimme einen slawischen Akzent zu hören. Leicht alkoholbefeuert und für die Polizisten wohl eine Spur zu pampig, denn schon sind sie raus aus ihrem Fahrzeug zur Personenkontrolle. Während ein Polizist die Beiden im Auge behält, macht der andere auf einem Schreibblock Notizen. Ich denke mal, dass es sich hierbei um die Aufnahme einer Anzeige handelt. Und die kostet ja bekanntlich Minimum 150.- Euro pro Kopf und Nase.
Gleich um die Ecke, die Straße runter, befindet sich das Männerwohnheim an der Pilgersheimer Straße. Dort gibt es Zwei-Bett-Zimmer und ich frage mich, ob die Regelung, derzufolge sich die Mitglieder eines Hausstandes gemeinsam in der Öffentlichkeit bewegen dürfen, auch für die Bewohner eines dieser Zwei-Bett-Zimmer gilt.
Hqd

Die Fallzahlen steigen zwar weiter, noch gibt es aber keine klassischen Katastrophenbilder aus dem deutschen Gesundheitssystem. Draußen, auf den leeren Straßen, arbeitet ein sonniger Frühling an der Erzeugung von Heuschnupfenlagen. Unter diesen Umständen scheint die Diskussion um die Zukunft eröffnet. Wege aus dem Lockdown – so werden die Ausgangsbeschränkungen jetzt genannt – werden diskutiert und wie Herdenimmunität über einen verträglichen Zeitraum aufgebaut werden kann. Unklar scheint noch wie man die Senioren auf dem Weg zur unempfindlichen Herde am Sterben hindern will, denn – das wird recht unmissverständlich klar gemacht – das alles muss vor dem Impfstoff passieren, was anderes können wir nicht bezahlen.
ma

 

Donnerstag, 2. April 2020
Große Probleme bei den von der Staatsregierung zugesagten Hilfskrediten besonders für kleine und mittlere Unternehmen. Die Kreditvergabe wird von den Hausbanken abgewickelt, die an rechtliche Re-gularien gebunden sind und eine umfangreiche Risikoprüfung vornehmen müssen für die verbleiben¬den 10% der Kreditsumme, die staatlicherseits nicht abgesichert sind. Da es sich zumeist um dringen¬de Fälle handelt, kommt aus der Politik die Bitte an die Banken, auch mal eine Auge zuzudrücken. Klingt irgendwie nicht nach seriöser Wirtschaftspolitik.
Hqd


Die Ausgangsbeschränkung lässt das Gefühl entstehen, dass alles Leben jenseits des unmittelbaren Familienkreises nur noch medial vermittelt stattfindet. Vermutlich zeigt das verminderte Sozialleben hier nur eine Tatsache auf, die eigentlich grundsätzlich gilt. Im Nahbereich der persönlichen Kommunikation teilt man Probleme des Lebens und daneben vor allem auch Sichtweisen auf eine medial vermittelte Welt. Die spricht im Moment vor allem Corona.
ma

 

Mittwoch, 1. April 2020
Adidas will jetzt für seine Filialen doch die Mieten bezahlen. Dem Management ist klar geworden, dass der Imageschaden wesentlich größer ist als der Gewinn, den das temporär freiwerdende Geld auf irgendwelchen Kapitalmärkten erbringen könnte. Aber im Ernst. Es war doch alles sowieso nur ein Scherz, diese Inanspruchnahme der pandemisch bedingten Hilfsmaßnahme. A bisserl Spaß muss sein. Auch in trüben Zeiten. April! April!
Hqd

 

Montag, 30. März 2020
Pressekonferenz mit Vertretern der bayer. Staatsregierung (Söder, Aiwanger, Herrmann, Huml). Die Ausgangsbeschränkung wird bis zum Ende der Osterferien am 19.4.2020 verlängert. Es findet jedoch keine Verschärfung der Maßnahmen statt. Auffallend ist, dass in dieser PK heute nicht einmal das Wort ‚Risikogruppe’ gefallen ist. Es darf vermutet werden, dass der mantra-artige Gebrauch dieses Begriffs in den letzten Wochen inzwischen auch bei den Verantwortlichen in der Politik als ziemlich verwirrend und kontraproduktiv erkannt worden ist, weil es all den Menschen, die sich dieser Gruppe nicht zugehörig fühlen, ein falsches Sicherheitsgefühl vermittelt und infolge davon zu mehr Verstößen gegen die Beschränkungen und daraus resultierenden Polizeieinsätzen führt. Sprache in Zeiten der Krise.
Hqd


Es ist wieder kalt geworden. Auf einen frühlingshaften Samstag und einen verhangenen Sonntag folgt ein Tag mit einer dünnen Schneedecke und Temperaturen um die 0 Grad. Heute wird auch klar: die Ausnahme wird länger dauern. Die Ausgangsbeschränkung endet nicht am 4. April, sondern frühestens am 19. bzw. 20. Das deckt sich mit meiner Erwartung. Je länger der Ausnahmezustand dauert, desto besser sitzt das neue Kleid der Normalität.
ma

Sonntag, 29. März 2020
Im örtlichen Krankenhaus seien bisher drei Patienten an der Pandemie verstorben. Die Beschäftigten dort würden jetzt Gratismittagessen erhalten. Auch würden sie bei einer Bäckereikette eine Kaffee, eine Brezel und eine Krapfen umsonst erhalten, wenn sie sich als Beschäftigte des Krankenhauses auswiesen. Das ist schön.
Eine Gefahrenzulage zu bezahlen wäre allerdings schöner.
PN

Samstag, 28. März 2020
Endlich mal wieder ein schöner Tag. Frühling. Ich unternehme meinen Gesundheitsspaziergang rüber an die Isar. Nachmittag. Auf dem Mittleren Ring rollt zügig der Verkehr. Auch an der Isar ist einiges los, aber, das fällt auf, die Leute achten auf den anempfohlenen Abstand. Früher bin ich um diese Zeit zu Hause gesessen und habe mir im Radio die Bundesliga-Berichterstattung angehört. Aber die gibt es ja nun gefühltermaßen schon seit Jahren nicht mehr.
Hqd


Im Reformhaus ist die maximale Anzahl von Kunden quotiert. Nicht mehr als 15 Menschen gleichzeitig werden auf den Verkaufsflächen gewünscht. Anders als im Biomarkt die Straße runter wird die Regelung aber nicht von Wachpersonal durchgesetzt. Bargeld ist aktuell fast überall verpönt und die Sicherheitsfeatures beim Kartenzahlen sind ausgesetzt: keine Unterschrift, keine Zahlenkombination, nichts, was Oberflächenkontakt benötigt.
Die mediale Präsenz der Pandemie ist nach wie vor hoch. Kein Wunder, ist es doch die erste Epidemie, die auch und vor allem erst einmal den neuen global orientierten Mittelstands betrifft und da sind die Medienschaffenden, rein soziologisch gesprochen, auch mit drin. Die drakonischen Gegenmaßnahmen spüren sie auch. Die intensiven Maßnahmen zum Aufbau und Pflege von Sozialkapital muss virtualisiert werden und das ist immer ein bisschen dünner als die Offlineinteraktion, vor allem wenn diese mit gemeinsamen Erlebnissen verknüpft ist.
Ein Volltreffer auf ohnehin rauer See bedeutet Corona für all jene, die ohnehin in prekären und schlecht bezahlten Jobs unterwegs sind. Von Homeoffice und Einschränkungen im Networking ist da keine Rede, auch nicht von Reserven um mal ein paar Wochen überstehen zu können.
ma

 

Freitag, 27. März 2020
Adidas & Co. zahlen ihre Mieten nicht mehr und berufen sich dabei auf das Corona-Hilfsprogramm. Empörung auf Seiten der Politik. (Großes Schmunzeln aus den Chef-Etagen von Adidas & Co.) Mir kommt dabei eine Begebenheit in den Sinn, als ich im Dezember 2004 im Auftrag der Oberpfälzer Nachrichten über eine Gesprächsrunde mit dem tschechischen Historiker Frank Boldt, dem Schriftsteller Lutz Rathenow und einem tschechischen Journalisten und Unternehmer namens Rudolf Tomsu berichten sollte. Letzterer beklagte die ‚brutale Kälte’ und ‚gerissene Juristerei’, die in Tschechien vorherrsche, und attestierte seinem Land eine ‚Krise des Vertrauens’, weil, so behauptet er allen Ernstes, Marktwirtschaft nur auf Basis gegenseitigen Vertrauens funktionieren könne. (Großes Gelächter aus den Chef-Etagen von Adidas & Co.)
In der ARD wird berichtet, dass in Frankreich ein TGV zu einem fahrenden Hospital umgerüstet worden ist, damit Intensiv-Patienten schnellstmöglich in Fachkliniken gebracht werden können. Zum ersten Mal höre ich in diesem Bericht von schwersten Verläufen der Infektion auch bei vorher kerngesunden, jungen Männern. Kurz darauf wird das auch von Prof. Uwe Janssen, Präsident der DIV, bestätigt, der in einem Interview ebenfalls von schwersten Verläufen auch bei jungen Menschen berichtet. Die höhere Todesrate bei älteren Patienten führt er darauf zurück, dass jüngere Menschen aufgrund ihrer besseren Konstitution die dramatische Situation eher überstehen.
Nicht ganz ungefährlich also, diese demografischen Säuberungsansätze von Söder & Co. Weder gesundheitlich und schon gar nicht gesellschaftspolitisch, weil da zwei elementare Grundrechte auf Kollisionskurs gebracht werden; nämlich das Recht auf körperliche Unversehrtheit vs. das Recht auf materielle Versorgung. Und das könnte schneller als gedacht zu einer explosiven Angelegenheit werden.
Hqd

Die 90-jährige Nachbarin getroffen. Ihre Tochter hätte ihr jetzt verboten, mit ihrem Gehwagen in den Lebensmittelmarkt und zum Friedhof zu laufen. Das seien aber die einzigen Dinge, die ihr noch Spaß machen würden.
Wieder einkaufen für die Eltern. Dort, wo vor zwei Tagen noch eine Plastikplane vor der Kasse hing, unter der ein Azubi eingelernt wurde, jetzt hinter einer dicken Plexiglasscheibe die Frau, die den Azubi angelernt hat. Es gab Klopapier.
In Italien sind heute fast 1000 Leute gestorben. Der Papst spricht den Segen Urbi et Orbi, was seine Vorgänger bisher nur bei Papstkrönungen, an Ostern und an Weihnachten taten.
Der Nachbar will nach Baden-Württemberg fahren, weil da die Baumärkte noch geöffnet seien. Er will ein Hochbeet anlegen. In Baden-Württemberg dürfe man auch noch Motorrad fahren. In Bayern sei das mittlerweile verboten, weil viele Motorradfahrer verunglücken, die dann den Corona-Patienten ihre Betten wegnehmen würden, sagt er.
Ein junger Blinder geht mit Stock über die Lechbrücke und rempelt eine ältere Frau an. ‚So halten sie doch Anstand!’ empört sich diese. ‚Ich gehöre zu der Minderheit von Menschen, die nicht an den Unsinn mit Corona glauben, und ich mache was ich will!’ entgegnet der Blinde. Die Frau tickt völlig aus. Der Blinde auch.
Ich zähle die Ausgetickten, die mir heute über den Weg gelaufen sind. Es waren mindestens 12.
PN


Die Olympischen Spiele sind jetzt verschoben bzw. abgesagt. Doch wenn es um die Planung zum größten Volksfest der Welt geht, herrscht noch Stille. Anscheinend fürchtet München diese Absage mehr als eine Ausgangsbeschränkung. Vor Mai oder gar Juni will man hier nicht Farbe bekennen. Immerhin haben die Cholera-Epidemien in den Jahren 1854 und 1873 auch schon zu Absagen geführt, aber noch ist anscheinend nicht klar, ob das, was gut war für das 19. Jahrhunder auch gut fürs 21. ist.
ma

 

Donnerstag, 26. März 2020
Mein Tagesablauf findet inzwischen in routinierten Strukturen statt. Ich stehe spät morgens auf, früh-stücke und räume meine Wohnung auf, was zum Glück nicht allzu viel Zeit in Anspruch nimmt. Dann setze ich mich an meinen Laptop und schreibe ein, zwei Stunden. Dann gehe ich einkaufen, mache was zu essen und gehe dann ein bisschen spazieren, um dann hinterher noch mal ein paar Stunden am Computer zu arbeiten. Ich mache also das, was ich jetzt den ganzen Winter über auch gemacht habe. Aber eigentlich hatte ich mir schon vorgenommen, jetzt im Frühjahr etwas mehr unterwegs zu sein. Freunde und Freundinnen treffen und natürlich auch meine Kinder und meinen kleinen Enkel, vielleicht wieder mal ins Theater, hin und wieder ein Konzert und das eine oder andere Bier in einer der von mir bevorzugten Kneipen. Das alles geht nun leider nicht und ich bin froh, dass da noch gut 200 DIN-A4-Seiten Text seit Jahren auf seine finale Bearbeitung warten und worin ich verschwinden kann, wann immer mir der Sinn danach steht.
Die ziemlich rigide Ausgangssperre in Kolumbien ist bis Mitte April verlängert worden. Erlaubt sind Einkauf, Arztbesuch und 20 Minuten Gassi gehen, falls man einen Hund hat.
Hqd


Die Apotheke hat eine große Plexiglasscheibe auf Kopfhöhe der Verkaufstheke angebracht. Dieser improvisierte Spuckschutz ist vielleicht auch notwendig, weil neben Medikamenten jetzt auch Toilettenpapier verkauft wird.
ma

 

Mittwoch, 25. März 2020
Die bayr. Staatsregierung hat nachgebessert. Auf der Seite des Innenministeriums wird darauf hin­gewiesen, dass bezüglich des Kontakts zu den getrennt lebenden, minderjährigen Kindern die Aus­nahmeregelung nicht nur für Väter mit Sorgerecht sondern auch für Väter mit Umgangsrecht gilt.
Münchens OB Reiter (61) schlägt dem örtlichen Einzelhandel vor, für Senioren ab 65 zu deren Schutz exklusive Einkaufszeiten täglich von 8-9 Uhr zu reservieren. Wie das über die Bühne gehen soll, wenn in dieser Morgenstunde 266.265 Bürgerinnen und Bürger (Stand 2018) vor den Lebensmittelläden auf der Matte stehen, sagt er nicht. Und wie mit all den Senioren zu verfahren ist, die gerne mal aus­schlafen, das sagt er auch nicht.
Irgendwo sehe ich wieder Söder seine Lieblingsanekdote von hustenden, ‚Corona, Corona’-rufenden Menschen erzählen. Unterschwellig steckt darin nach meinem Empfinden die Botschaft, dass man das ganze Schlamassel zwar irgendwelchen alten Leuten zu verdanken hat, die man aber trotzdem nicht anhusten darf, weil die dadurch zu einer Belastung für das Gesundheitssystem werden könnten.
Hqd

 

Dienstag, 24. März 2020
Diese ständig wiederholte Androhung der Ausgrenzung und Isolation bekommt etwas Bedrohliches. Ich lese in einer Kölner Tageszeitung einen Kommentar, in dem der Autor ziemlich bösartig über die Verantwortungslosigkeit älterer Menschen herzieht, die da glauben, sie müssten sich noch immer beim Einkaufen unter die restliche Bevölkerung mischen. Unterfüttert wird dieser Artikel durch ein Foto, auf dem ein altes Ehepaar in einem Supermarkt zu sehen ist, das sich vor einem Regal bückt, um den Preis der Ware lesen zu können. Ich bin auf der Suche nach einer detaillierten Statistik, die die Altersstruktur der Fallzahlen in Deutschland ausweist. Die lässt sich komischerweise gar nicht so leicht finden. Festzustehen scheint, dass der Löwenanteil der Infizierten im Bereich der 15-59-jährigen liegt. Endlich werde ich irgendwo auf der Seite des Robert-Koch-Instituts fündig. Dort steht, dass die meisten Covid-19 Fälle zwischen 35 und 59 Jahre alt sind. Was ja auch nur logisch ist, wo doch diese Altersgruppe durch Berufstätigkeit die höchste Kontaktdichte haben dürfte. Die meisten Todesopfer allerdings sind über 70 Jahre alt. Irgendwie drängt sich da der Gedanke auf, dass mit der Forderung nach Isolation von Alten und Kranken eigentlich, wenn man das in diesem Zusammenhang sagen darf, eine Täter-Opfer-Umkehr stattfindet, wenn man davon ausgeht, dass Alte und Kranke eher begrenzte Sozialkontakte haben und somit selbst kaum jemanden anstecken. Man müsste herausfinden, wie viele Fälle aus der Hauptinfizierten-Gruppe einen schweren Verlauf haben und eine intensive, klinische Betreuung in Anspruch nehmen.
Aber ich kann jetzt erstmal für eine ganze Weile das Wort Corona nicht mehr hören und sehen. Ich klappe meinen Internet-Rechner zu und bin entschlossen, ihn für den Rest des Tages auch nicht mehr hoch zu fahren. Ich schlüpfe in Jacke und Schal, stecke meinen Reisepass ein und mache jetzt, wie vom Gesundheitsministerium empfohlen, einen ausgiebigen Spaziergang an der ‚frischen’ Luft.
Hqd

Das Radio angemacht, um zu hören, was in der großen weiten Corona-Welt los ist. Bayern 2 und Bayern 5 aktuell haben fusioniert. Jedes zweite Wort ist Corona. Hört man länger am Stück Radio, bekommt man den Eindruck, das Radioprogramm bestünde nur noch aus dem Wort Corona, nur in unterschiedlichen Tonhöhen und Tonlagen von unterschiedlichen Stimmen gesprochen. Corona als Verb, als Substantiv, als Adjektiv …
Von den Eltern eine Einkaufsliste bekommen. Im Lebensmittelmarkt laufen Durchsagen, dass man aus Rücksicht auf die anderen Kunden keine Hamsterkäufe tätigen solle. Hefe ist aus und Klopapier.
PN


Die Angst kriecht langsam durch die Ritzen der Wohnung. Noch nicht schrill, aber doch mit mehr Präsenz als noch zum Wochenende. Der junge Mann, der sich lautstark mit Headset unterhaltend auf der Supermarktrolltreppe nah an einem vorbeidrängelt, bekommt schon den Titel 'Arschloch des Tages'.
ma

 

Montag, 23. März 2020
Seit heute gilt ein bundesweites Versammlungsverbot, das sich nicht wesentlich vom etwas strengeren in Bayern unterscheidet, das ja für uns hier nach wie vor maßgeblich bleibt.
Ich lese in einem Artikel auf der BR-Seite über die Einhaltung der Corona-Regeln, dass der Sprecher der Münchner Polizei Marcus da Gloria Martins in diesem Zusammenhang von einem Problem mit der Altersgruppe 45+ spricht.
Hqd


Im Hausflur der Wohnanlage hängt ein Zettel von der Familie gegenüber. Sie bietet anderen Bewohnern Unterstützung bei der Organisation und Durchführung der täglichen Grundversorgung an. Der Altersdurchschnitt der Bewohner ist vergleichsweise hoch, einige sind kurz nach der Fertigstellung der Anlage in den späten 60er-Jahren eingezogen. Das Angebot ist furchtbar nett und zugewandt formuliert, macht aber vor allem ein schlechtes Gewissen. Wir sind, wie man so schön sagt in unseren besten Jahren, im Moment noch gesund und müssen lediglich einen Vertreter der Elterngeneration betreuungsseitig abfangen, der – eingesperrt im Pflegeheim – seine Eigenheiten zunehmend telefonisch ausagiert, kurz: auch wir hätten theoretisch Krisenunterstützung anbieten können. Haben wir aber nicht.
ma

 

Sonntag 22. März 2020
Ich finde auf der Website des Bayr. Rundfunks folgende Meldung: Wie das Familienministerium mitteilte, können ab morgen auch die Familien eine Betreuung in Kindertagesstätten und Schulen wahrnehmen, in denen nur ein Elternteil in der Gesundheitsversorgung oder Pflege tätig ist.
Ich leite das an den Bodensee weiter, weil dort ja nun nach in Kraft-Treten der Ausgangsbeschränkung die privat organisierte Kinderbetreuung nicht mehr möglich ist.
Ansonsten verläuft der Sonntag einigermaßen entspannt. Allerdings stelle ich fest, dass ich mich seit ein paar Tagen wesentlich häufiger im Internet bewege, als ich das sonst tue. Mein Hauptrechner war bislang mein offline Laptop, an dem ich an meinen Texten arbeite oder Downloads lese. Das hat sich momentan etwas geändert. Ich bin auf der Suche nach näheren Informationen zum Begriff ‚Risiko-gruppe’, (die, nebenbei gesagt, von seiner Wortaura her suggeriert, als ginge von ihr eine Gefahr aus). Ich fühle mich zwar einigermaßen gesund, falle aber alterstechnisch in diese Gruppe, die da wie auch immer isoliert werden soll, was mich verständlicherweise ziemlich unbehaglich macht. Das Robert-Koch-Institut, das mittlerweile in aller Munde ist, spricht in dieser Hinsicht von 50-60-jährigen aufwärts, von Zuckerkranken, Menschen mit geschwächtem Immunsystem und sonst noch einigen anderen Krankheitsbildern.
Hqd

Am Abend spielt ein Mann auf der Straße auf einem Flügelhorn ‚Freude schöner Götterfunken’. Ein Nachbar herrscht ihn an, was der Unsinn solle. Er solle zu Hause bleiben und Niemanden anstecken. In ganz Deutschland seien Musiker aufgefordert vom Balkon oder auf der Straße um 18 Uhr ‚Freude schöner Götterfunken’ zu spielen, um den Leuten Hoffnung zu machen. Das würde er tun. Eine lange Streitdiskussion folgt. Ich mache das Fenster zu.
PN

Spaziergehen zur Erhaltung der wohl auch psychisch gemeinten Gesundheit gilt als eine der legitimen Ausnahmen der Ausgangsbeschränkung. Kann bei uns nicht gemeinsam umgesetzt werden. Ein abgestürztes IT-System zwingt zum Sonntagseinsatz und häufelt damit persönlich Arbeit, die im Bekanntenkreis schon teilweise ausgeht. Je enger die Koppelung an Kulturarbeit oder Gastro ist, desto durchgreifender die Auswirkungen. Im Umfeld gibt es bereits die ersten Corona-Arbeitslosen.
ma

 

Samstag, 21. März 2020
Pünktlich zum Frühlingsanfang der erste Schnee, der zumindest auf den Autodächern eine Weile lie­gen bleibt. Kalt. Die Ausgangsbeschränkung ist in Kraft. Ich schlafe lange, frühstücke ausgiebig und gehe ins Netz, in dem es, egal wohin man auch sieht, nichts anderes mehr zu geben scheint als Co­rona. Und was in der Flut von Berichten immer häufiger auftaucht ist das Wort ‚Risikogruppe’. Und dass diese zum eigenen Schutz isoliert werden muss. Davon hat ja auch Söder gestern auf der Presse­konferenz schon ausgiebig gesprochen und hat sie auch explizit benannt: Alte Menschen und Men­schen mit Vorerkrankungen. Insbesondere in Erinnerung geblieben ist mir die von ihm vorgetragene Anekdote von den jungen Leuten, die älteren Menschen ins Gesicht husten und ‚Corona, Corona’ dabei rufen.
Hqd


Der Erste Tag an dem die vorläufige Ausgangsbeschränkung gilt. Homeofficeregelungen sind bereits seit Mitte der Woche in Anwendung und bringen die IT-Abteilung ins Schwitzen. Der Stammsupermarkt zeigt Lücken bei Toilettenpapier, Reis und der Lieblingspizza. Auch Markenglasreiniger hat sich rar gemacht. Im Wartebereich vor den Kassen finden sich liebevolle, im Firmenlayout gehaltene Hinweise auf dem Boden mit der Bitte im Sinne der Gesundheitsvorsorge, doch Abstand zu halten.
Die neuen Beschränkungen schlagen noch nicht auf das Lebensgefühl durch. Der Samstag allein zu zweit als durchaus übliche Praxis. Jeder soll sein eigener Herr sein – das war bisher vor allem als Referenzsystem der psychischen Haushaltung gedacht. Jetzt soll es auch physisch gelten.
Der oder die Einzelne mag Träger des Virus sein, aber als Vereinzelter ist er oder sie kein Überträger. Hier kommt das Idealbild einer Gesellschaft zum Vorschein, in der alle erst einmal eine Inkubationszeit lang zu Hause bleiben und alle Fälle dann mit 100%iger Sicherheit gemeldet werden. Vorstellen können sich das vor allem die Apologeten der Digitalisierung. Hier neigt man zur geistigen Abwertung all der Prozesse und ihrer Akteure, die mit dem Schmutz der physischen Gütererzeugung und der Durchführung von Versorgungsdienstleistungen aller Art beaufschlagt sind. Klar: die Pizza wird im Internet bestellt und die Bestelloberfläche wurde gegebenenfalls von einem Webdesignerteam im neuen Business Space in Berlin Mitte erstellt, das locker den Code auch vom Homeoffice aus erzeugen kann. Aber die Komponenten dessen, was da kommt, hat eine lange Kette menschlich begleiteter Reisen und Distributionsleistung hinter sich. Von dem tatsächlichen Backen im kleinen Team in der überhitzten kleinen Klitsche zwei Straßen weiter einmal ganz abgesehen.
ma

 

Freitag, 20. März 2020
In Kolumbien ist bis kommenden Dienstag strikte Ausgangssperre. Montags ist dort Feiertag und man will wohl verhindern, dass sich alle Welt an irgendwelchen beliebten Ausflugszielen tummelt. Die Schulen sind dort seit einer Woche ebenfalls geschlossen. Und man hat auch hier auf Digital-Unterricht umgestellt. In einer Elite-Schule in Bogota ist das kein Problem. Die sind da wahrscheinlich besser ausgestattet als so manche Schule in Deutschland. Aber für die weniger privilegierten Schulen des Landes wird das wohl eher ein umso größeres Problem sein.
Mittags Pressekonferenz mit Söder, Aiwanger, Herrmann und Huml. Ausgangsbeschränkung! Das war zu erwarten, das hatte sich angedeutet und kommt eigentlich auch nicht mehr überraschend. Aber die Allgemeinverfügung aus dem Gesundheitsministerium, in der die ab Samstag geltenden Bestimmungen formuliert werden, hat es in sich. Darin heißt es u.a., dass bei getrennt lebenden Eltern der Umgang mit den eigenen Kindern nur erlaubt ist zur Ausübung des Sorgerechts. Das ist ein Hammer. Das heißt, dass z.B. Vätern, die nur das sog. Umgangsrecht haben, für die Dauer des Ausnahmezustands der Kontakt zu ihren Kindern untersagt ist. Gesundheitspolitisch lässt sich eine derart gravierende Unterscheidung zwischen Vätern mit und ohne Sorgerecht nicht nachvollziehen. Diese Verfügung aus dem Gesundheitsministerium riecht eher nach konservativer Familienpolitik, die da unter dem Mäntelchen des Infektionsschutzes reaktiviert werden soll. Da heißt es also aufgepasst, was da jetzt sonst noch so alles an gesellschaftspolitischen Maßnahmen auf den Weg gebracht wird.
Hqd

Der Nachbar, der im Home-Office-Modus arbeitet, hat von seiner Firma ein Päckchen Desinfektionsmittel, Datensticks und Arbeitsunterlagen geschickt bekommen. Auf dem Postweg ist das Desinfektionsmittel aufgeplatzt. Ein Briefumschlag voller Sauce! Er flucht.
Sonntagsspaziergang auf den nahen Feldern. Die Leute grüßen sich plötzlich wieder, wie es sonst nur in sehr kleinen Ortschaften üblich ist. Man hält gebührend Abstand. Wenn jemand hustet töten ihn die Blicke.
Die Nachbarin, die vor ein paar Tagen 90 wurde, getroffen. Nachträgliche Glückwünsche. Sie geht jeden Tag ein paar hundert Meter mit ihrem Gehwagen zu ihrer Tochter, jeden zweiten Tag auf den Friedhof zum Grab ihres Mannes und in den Lebensmittelmarkt. Für sie habe sich nichts verändert. Jeder Tag sei gleich. Ruhiger sei es geworden auf der Straße.
PN

 

Donnerstag, 19. März 2020
Ich komme von meinem täglichen Spaziergang nach Hause und treffe auf der Treppe einen Nachbarn, der völlig außer sich ist. Er sei gerade draußen im PEP-Einkaufszentrum gewesen und habe dort festgestellt, dass da draußen alles dicht ist. Er selbst arbeitet in der Gastronomie und hat gedacht, dass nur Gaststätten geschlossen hätten. Ich kläre ihn auf.
Hqd

 

Mittwoch, 18. März 2020
Ich lese seit Wochen schon bis tief hinein in die Nacht (Das Kapital 1) und bin froh, dass ich ohne schlechtes Gefühl morgens ausschlafen kann, solange ich will. Es ist ein sonniger Tag und ich lege heute meinen Waschtag ein. Waschsalon an der Tegernseer Landstraße. Außer mir ist niemand da und ich stelle einen Stuhl raus aufs Trottoir in die Sonne. Im Wienerwald nebenan betreibt man einen regen Straßenverkauf. Eigentlich sieht alles aus wie immer.
Hinterher spaziere ich gemütlich heimwärts, mache mir noch mal einen Kaffee und setze mich wieder an meinen Rechner und schreib weiter an dem Text, den ich gerade in Arbeit habe. Ich stelle fest, dass sich für mich persönlich die ganze Angelegenheit noch ziemlich entspannt anfühlt.
Hqd

 

Dienstag, 17. März 2020
Ich schlafe bis in die Puppen. Nach einem ordentlichen Frühstück setze ich mich in den Bus in die Innenstadt, um mir die ausgangsbeschränkte Stadt anzuschauen. Der Bus ist nahezu leer. An der nächsten Haltestelle steigt ein leicht verwahrloster Mann mit großer Plastiktüte ein und zwängt sich neben mich auf den freien Nachbarsitz. Verdammt eng hier drin, sagt er zu mir. Ich frag ihn, ob er sich denn nicht woanders hinsetzen könne. Der Bus ist doch leer. Wo solle er denn hin?, fragt er mich. Nicht aggressiv sondern eher hilflos verwirrt. Ich stehe auf, schlängle mich an ihm vorbei und setze mich auf die freie Sitzbank am Heck des Busses.
Ich fahre vorbei an all den geschlossenen Läden, den Buchhandlungen und Cafés, den Boutiquen und Schmuck-Geschäften und Reisebüros und es ist leicht vorstellbar, auf welch glühenden Kohlen jetzt nicht nur die Betreiber dieser Unternehmungen sitzen, sondern auch deren Angestellte, von denen doch kaum einer der Illusion nachhängen dürfte, dass all das in ein paar Tagen wieder vorüber ist. Und ich bin irgendwie erleichtert, dass ich selbst altersbedingt keiner Lohnarbeit mehr nachgehen muss. Aber das ist kein Grund zur Freude. Zum einen bekomme ich meine magere Rente nicht vom lieben Gott geschickt und zum anderen braucht es nicht viel Fantasie um sich auszumalen, wie schwer sich die Existenzängste all dieser Menschen in die eh schon nicht ganz leichte Atmosphäre der Stadt einlagern werden.
Hqd

Wie ein Kultur- und Kunstbetrieb ohne Besucher aussehen soll, ist eine neue und bislang unbekannte Erfahrung.
Ein Witz aus Künstlerkreisen: ‚Was machst Du gerade?’
‚Ausstellungen absagen!’
Christine Wunnicke fordert auf facebook Online-Dichterlesungen.
Morgens sehe ich mir immer die neue Folge von Angst. Saurier an. Nikolai Vogel sitzt zu Hause im Flur, und liest jeden Tag ein Kapitel aus seinem unveröffentlichten Roman Angst. Saurier von 2017 ein, und filmt sich dabei. Jeden Tag ein Kapitel, das er bei youtube reinstellt. Saurier sind in der Wohnung. Der Flur ist der einzige Ort wo Silke und Nikolai noch sicher sind. Ein DIY-Kammerspiel in Zeiten der Ausgangsbeschränkung.
Abends eine Übertragung des Münchner Marionettentheaters im Internet angesehen. Das steht auf meiner bucket list. Ich wollte da immer mal hin, bin aber nie dort gewesen. Die Zauberflöte. Die Puppenspieler spielen live mit Mundschutz.
Fieber gemessen. Kein Fieber. Man wird schon ganz kirre.
Die Schwabinger Schaumschläger posten jeden Sonntag eine zu Hause produzierte Folge ihrer Show bei youtube, gefolgt von einem Spendenaufruf.
PN

 

 

Montag, 16. März 2020
Ich bin abends in einer beliebten Kneipe im Westend und trinke dort noch ein Bier, bevor am nächsten Tag dicht gemacht wird. Hinter der Bar ein alter Freund von mir, mit dem ich noch einmal anstoße auf die klasse Musik, die er seit über zwanzig Jahren in die Stadt holt. Er ist hauptberuflich Konzert-Veranstalter und ihm brechen gerade, wie vielen anderen Leuten aus dem Kulturbetrieb, all seine Einnahmequellen unter den Füßen weg.
Hqd

Um 6 Uhr aufgestanden. Schon früh am Flughafen. Kaum Verkehr auf Malta. Wir sind viel zu früh. Leute in orangen Warnwesten sind nicht zu sehen.
Die Schlangen am Schalter für die Chartermaschinen sind lang. Das Social Distancing müssen die Deutschen Urlauber erst noch einüben.
Die Frau aus dem Hotel mit dem Topfhut, ist auch nicht zu sehen. Sie ist wohl noch nicht auf die Liste gekommen oder vielleicht schon über London ausgeflogen.
Reisende tauschen ihre Erlebnisse aus. Manchen seien am ersten Abend vom Abendessen weggeholt, und unter Quarantäne gestellt worden. Hätten ihr Hotelzimmer nicht verlassen dürfen. Hätten von Malta nichts gesehen außer während der Fahrt vom Flughafen zum Hotel. Muss sehr schön sein, die­ses Malta, sagt ein Mann mit dem T-Shirtaufdruck Norbert, der Tepppichbodenprofi. In Deutschland schlimme Zustände. Klopapier ausverkauft.
Um Elf Uhr kommen ein Mann und eine Frau in gelben Warnwesten mit der Aufschrift Bundesrepublik Deutschland. Der Honorarkonsul mit einer Angestellten. Sie helfen weiter und beantworten Fragen.
‚Odysseus erlitt Schiffbruch und verbrachte 7 Jahre in Abgeschiedenheit auf der maltesischen Insel Gozo. Das haben meine Frau und ich auch schon befürchtet, dass uns das blüht’, erzählt Jemand hin­ter uns in der Schlange. Vermutlich ein Altphilologe.
Jeder kann eine potenzielle Corona-Viren-Schleuder sein. Ich, Du, der vermeintliche Altphilologe, Nor­bert der Teppichbodenprofi, der hilfsbereite schlaksige Honorarkonsul, die jungen Mädchen von der gestrandeten deutsche Klassenfahrt in der Schlange vor mir. Das muss ich mir jetzt endlich mal ver­innerlichen.
Den Ausreisewilligen wird vor Abflug Fieber gemessen.
Im Flieger eingeschlafen.
Geträumt Norbert der Teppichbodenprofi sei unter einer bestimmten Wolke vergraben. Die Frau mit dem Topfhut trüge zum Hut eine gelbe Warnweste, und würde verzweifelt nach ihm buddeln. Was fin­det sie? Roccos Töfftöff.
Ankunft Frankfurt Flughafen. Kein seitenlanger Fragebogen mit Fragen wie wo man sich auf Malta aufgehalten hat, mit wem man wo alles Kontakt hatte ist auszufüllen. Das hatte ich befürchtet. Keine Passkontrolle. Keine Polizeikontrolle. Nichts. Nur ein fast menschenleerer Flughafen, leer gefegte Hal­len, durch die der Rih Isfal (der mieseste Laune-Wind Maltas) thunderweeds bläst.
Ich komme mir vor, wie einer der letzten Reisenden Europas und mir wird schreckhaft bewusst, dass ich das in dem Moment tatsächlich bin.
Mit dem Zug nach München. Um Elf Uhr zu Hause um anderntags pünktlich wieder arbeiten zu gehen.
gag

Mit dem Zug nach München, weil eine Ausgangssperre zu erwarten ist. Gespenstisch die Menschen im Zug, gespenstisch der Hauptbahnhof, gespenstisch mein Pommes-Verzehr am Hauptbahnhof. Eine Käseglocke aus Ängsten und Dienst-nach-Vorschrift hängt über der Stadt.
PN

 

Sonntag, 15. März 2020
Eine baldige Ausgangssperre liegt in der Luft und ich fahre, solange das noch geht, runter an den Bodensee zu einem Familienbesuch. Es sind auffallend wenig Asiaten im Zug, wo doch diese Strecke bis Buchloe normalerweise massiv frequentiert wird von Neuschwanstein-Touristen und man oft ge¬nug bei passendem Wetter kaum ein Sitzplatz ergattern kann. Schul- und Kita-Schließungen sind auch am Bodensee ein Thema. Notbetreuungen für Kinder von Eltern in systemrelevanten Berufen stehen aber nur Alleinerziehenden zur Verfügung. Deshalb organisiert man sich im privaten Umfeld.
Hqd

Telefonat mit dem Manager. Wir stünden nicht unter Quarantäne und dürften rausgehen. Er entschul­digt sich für den Irrtum.
Den Aufenthalt verlängert, wieder Koffer gepackt, wieder am Meer gesessen.
Im Buch über den maltesischen Humor findet sich ein Witz aus dem alten Rom. ‚Herr Doktor, ich habe so Nackenschmerzen vom Schlafen.’ – ‚Wie schlafen Sie?’ – ‚Auf dem Boden, den Kopf auf eine Am­phore gelegt.’ – ‚Benutzen Sie Daunen, um ihren Kopf draufzulegen, dann werden ihre Schmerzen schon weggehen’. Ein paar Tage später: ‚Herr Doktor. Ich habe immer noch schreckliche Nacken­schmerzen.’ – ‚Haben Sie meinen Rat denn nicht befolgt? Haben sie keine Daunen genommen?’ – ‚Doch.’ – ‚Wie viele?’ – ‚Ganz viele. Ich habe die Amphore damit ausgestopft.’
Telefongeklingel. Gleich doppelt. Bei mir ist es die für uns zuständige Frau von Sonnenschirmfreude­reisetouristik, die keine Neuigkeiten hat. Bei meiner Freundin ist der Honorarkonsul der Bundesrepu­blik Deutschland in der Leitung. Wir seien auf die Liste gekommen und hätten uns Morgen Mittag am Flughafen einzufinden. Es gingen zwei Chartermaschinen nach Frankfurt.
Näheres könne er nicht sagen. Wir sollten vor Ort die Leute in den orangen Warnwesten fragen. Die würden uns dann weiterhelfen. Die seien nicht zu übersehen.
Vor dem Denkmal für die prominente ermordete maltesische Enthüllungsjournalistin, ein Denkmal das wie das Michael-Jackson-Denkmal in München ursprünglich für jemand anderen errichtet, und dann von der Bevölkerung umgewidmet wurde gesessen, und hoffentlich ein letztes Eis gegessen.
gag

'Was hast Du heute in der Arbeit gemacht? Die Einrichtung ist doch geschlossen?’
‚Der Chef hat ein Rezept der WHO zur Selbstherstellung von Desinfektionsmittel ausgedruckt und die Zutaten in der Apotheke besorgt. Wir haben alle Türklinken und Lichtschalter im Haus damit eingesprüht.’
PN

 

Samstag, 14. März 2020
Wieder Lebensmittel auf Vorrat gekauft und aufs Zimmer gebracht. An der Rezeption nachgefragt, ob es Neuigkeiten gäbe. Wir werden angewiesen, unser Zimmer auf keinen Fall zu verlassen. Wir stünden unter Quarantäne. ‚Ihr müsst Tausend Euro Strafe zahlen, wenn ihr Draußen erwischt werdet. Anwei­sung des Hotelmanagers. Ihr dürft nicht mehr raus!’, sagt der Rezeptionist mit dem russischen Akzent, und dreht seinen angeknabberten Bleistift zwischen seinen Fingern. Deswegen die Teebeutel und der Wasserkocher vor unserer Tür! Aufmerksamkeit des Hotels für seine Gäste. Wir seien doch schon am 4. März eingereist. Das sei ein Missverständnis. ‚Das spielt keine Rolle. Klärt das morgen mit dem Hotelmanager. Heute bleibt ihr im Zimmer. Basta.’
gag

Alle kommenden Termine im Terminkalender durchgestrichen. Alles abgesagt außer dem TÜV-Termin.
PN

 

Freitag, 13. März 2020
Schulen und Kitas schließen.
Auf der Website des bayrischen Rundfunks wird diese Maßnahme dreimal redaktionell kommentiert. Pro und Contra und dann noch ein Kommentar vom Chefredakteur höchstselbst, in dem ich u.a. folgendes lese: Alte und gesundheitlich vorbelastete Menschen müssen – so schwer das fällt - isoliert werden. Diese Formulierung erzeugt irgendwie eine sehr ungute Assoziation. Bei dieser Wortwahl denkt man nicht unbedingt an Gesundheitsschutz sondern eher an die gesellschaftliche Ausmusterung eines vermeintlich ökonomisch nicht mehr verwertbaren Bevölkerungssegments.
In den Schulen soll vorläufig ein Not-Unterricht digital weiter geführt werden. Man geht offenbar davon aus, dass inzwischen auch die Ärmsten im Lande entsprechend technisch ausgerüstet sind. Daran darf gezweifelt werden.
Hqd

Wieder Lebensmittel auf Vorrat gekauft. Wieder nichts von der Deutschen Botschaft gehört. Wieder für eine Nacht verlängert. Lange Schlange an der Rezeption. Wieder am Meer. Im Buch über den maltesischen Humor steht auf Malta gäbe es den Nordwind Arihfuq und den Südwind Rih Isfal. Beide würden auch als Metaphern für maltesische Gemütszustände benutzt – Arihfuq stünde für gute Laune und Rih Isfal für miese Laune.
In Malta gäbe es eine komische Figur namens Grahan. Das sei ein Junge zwischen 8-14 Jahren. In anderen Ländern gäbe es diese Figur auch, den erwachsenen Grahan, einen glückliche Dorfdeppen. Dieser hätte seinen Ursprung im 9.-13. Jahrhundert. Im Arabischen gäbe den Guha oder Guhan, in Sizilien hieße er Giufa. Vermutlich sei die Figur des Guhan über Sizilien nach Malta gelangt. Eine Geschichte, die man sich auf Malta erzählt: Grahan sucht einen Schatz, den er in der Wüste vergraben hat und kann ihn nicht finden. Ein des Weges kommender Beduine sagt: ‚Du hättest die Stelle markieren sollen, an der du ihn vergraben hast’. Grahan: ‚Habe ich doch. Ich habe ihn genau unter einer bestimmten Wolke vergraben.’
Eine Frau, die auch in unserem Hotel wohnt, schreckt mich aus meiner Lektüre, erzählt, dass man über Istanbul jetzt auch nicht mehr ausfliegen könne. Die hätten den. Bliebe nur noch über London. Das würde aber Tausend Euro kosten. Ein unvorteilhafter Topfhut verschattet ihr Gesicht. Sinnvoller sei es, auf diese Liste des Konsuls zu kommen und einen Platz in der Chartermaschine zu ergattern. London ginge im Moment noch.
England hat bisher noch keine Maßnahmen gegen die Pandemie mit dem Biernamen getroffen. Das merkt man auch hier. Wenn man noch gut gelaunte Touristengrüppchen sieht, die unbeschwert Pizza essen und Bier trinken, sind es Engländer.
gag

 

Donnerstag, 12. März
Ich stehe an der Hotelrezeption, den Geldbeutel in der Hand, habe ich doch noch die Kurtaxe für eine Woche Touristenaufenthalt auf Malta nachzuzahlen, da fällt mein Blick auf einen Zettel, der dort ausliegt.
Liebe Gäste, die WHO hat Covid 19 zur Pandemie erklärt. Der Flugverkehr nach Deutschland und Frankreich ist deswegen ab 11.3. ausgesetzt worden. Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an die Französische bzw. Deutsche Botschaft.
Ein Moment, der das Herz kullern lässt. Morgen wäre unser Rückflug gewesen. Schneller als gedacht ist das nach Malta gekommen, was man später einmal die Corona-Krise nennen wird.
Bei der Einreise wurden alle von einer Wärmebildkamera gefilmt. Die mit Fieber durften nicht ins Land. In den Museen und Geschäften standen Handdesinfektionsspender. Vorgestern in der Zeitung wurde von 4 Corona-Fällen auf Malta berichtet. Der Flug- und Schiffsverkehr nach Italien wurde eingestellt. Sonst hat man hier eher wenig von der Corona-Krise mitgekommen.
Wieder im Zimmer. Bei der Deutschen Botschaft ist immer besetzt.
Auf der Homepage steht, man solle nicht anrufen, sie seien völlig überlastet. Man solle sich als deutscher Staatsbürger auf Malta melden, dann würde man auf eine Liste gesetzt und mit Chartermaschinen ausgeflogen. Wir schreiben eine Mail mit unseren Daten.
Eine deutsche Frau, die ab Mittag an der Hotelrezeption arbeitet, meint, am sinnvollsten sei es, schnell in ein Reisebüro zu gehen und selbst einen Flug über Istanbul nach Deutschland zu buchen. Die Politik unseres Hotels sei, wer auscheckt und zum Flughafen fährt, dürfe nicht mehr aufgenommen werden. Also die Übernachtung verlängern. Erstmal für eine Nacht.
Der Hygienespender in der Hotellobby wird heute auffällig häufig benutzt.
Die für uns zuständige Frau von unserem Reiseveranstalter Sonneschirmfreudereisetouristik telefonisch erreicht. Sie rät uns nichts selbständig unternehmen. Sonneschirmfreudereisetouristik würden sich darum kümmern.
Anruf vom Hotelmanager. Ob wir schon gehört hätten. Ja, wir haben schon gehört.
Lebensmittel und Wasser kaufen und noch Bücher. Im Schreibwarenladen um die Ecke. Wer weiß wie lange wir irgendwo an einem Flughafen sitzen und warten müssen. Wer weiß, wie lang die Geschäfte hier noch geöffnet sind.
Koffer packen, am Meer sitzen, unruhig in dem eben gekauften, wissenschaftlichen Buch über den Humor der Malteser lesen, und auf einen eventuellen neuen Anruf unseres Reiseveranstalters warten. Immerhin ist es jetzt sonnig und warm geworden.
Vati mailt in Deutschland hätten bis auf die Lebensmittelmärkte schon alle Geschäfte geschlossen. Das Leben würde sich anfühlen wie ein Salamander im Gefrierfach. Wir sollen unseren verlängerten Auf-enthalt genießen. Klopapier scheint in Deutschland Mangelware zu sein. Es gibt unzählige Facebookposts. Unvorstellbar. Das Tuckern der Boote. Die an- und abschwellenden Wellen. Die Vogelschrift am Himmel.
Mit dem Bus ins nahe Valletta. Das öffentliche Leben ist nun auch in Malta über Nacht heruntergefahren worden.
Gestern waren wir noch im Pop-Up-Cinema und im ältesten Plattenladen der Welt. Heute haben nur noch ein paar Kirchen, eine Eisdiele, ein Andenkenladen und eine Ausstellung von sogenannten Dilettanten, also Hobbykünstlern, die maltesische Altäre und Kirchen nachgebaut haben, geöffnet. Und die Kirche mit den zwei echten Caravaggios. Dort sollen wir einen Kindertretroller abholen, den der Sohn einer befreundete Restauratorin und eines Kunstprofessors aus Zürich dort vor einen halben Jahr vergessen haben. Der Roller sei noch da. Sie hätten eine Mail bekommen. Roccos Töfftöff.
Vor der Kirche stehen gleich fünf Sicherheitsleute mit Mundschutz, die uns nicht einlassen wollen. Ich muss meine Flugtickets zeigen, ihnen bestätigen, dass ich vor dem 11. März eingereist bin und mich frei bewegen darf. Diejenigen Deutschen, die nach dem 11. März 12 Uhr ins Land gekommen sind, stünden unter Quarantäne und dürften ihre Hotelzimmer gar nicht mehr verlassen. Man lässt uns in die Kirche, allerdings darf man nurmehr mit Karte bezahlen und muss die Hände desinfizieren. Wir suchen die Caravaggio-Gemälde. Anruf von Sonnenschirmfreudetouristikreisen. Eine aufgeregte Dame am Apparat. Keine Neuigkeiten. Wir sollen nicht selbständig einen Flug buchen. In der Aufregung vergessen nach dem Töfftöff zu fragen.
In der Nähe des geschlossenen ältesten Plattenladens der Welt, dessen letzter oder vorletzter Kunde ich gestern war, sitzt wieder der Mandolinenspieler. Wo wir herkämen. Deutschland. Wir müssten jetzt auf eine Chartermaschine warten, die uns ausfliegt. Der Mandolinenspieler sagt, er dürfte eigentlich auch nicht mehr spielen, aber seine Frau hätte es mit ihm nicht ausgehalten, den ganzen Tag in der Wohnung, und ihn wie jeden Tag zum Spielen auf die Straße geschickt Wer weiß wie lange er das noch dürfe. So eine Pandemie, sagt er, das hätten selbst seine Eltern, die den 2. Weltkrieg miterlebt hätten, nicht erlebt. Erst China, dann Italien und jetzt die ganze Welt. So etwas hätte bisher Niemand erlebt. Er spielt ein deutsches Lied für uns ‚Die Gedanken sind frei’ und wünscht uns Glück. Wir ihm auch.
Noch eine Weile am Busbahnhof gesessen, der Mandoline von fern zugehört und auf die honigfarbenen Häuser von Valletta in der Abendsonne gekuckt.
Sehr bald wird es keine Straßenmusik mehr geben. Wer weiß für wie lange?
Viele afrikanisch aussehende Leute in den Bussen, kaum noch Einheimische. Die Busfahrer müssen alle Mundschutz tragen.
gag